Denises Reit (Marz 14.) 289
erhöht worden. Inzwischen haben sich die wirtschaftlichen Verhältnisse er-
heblich verändert. Schon vor Ausbruch des Krieges waren unsere Tage-
gelder nicht mehr angemessen, und es ist anzunehmen, daß auch nach dem
Kriege die wirtschaftlichen Verhältnisse, die Höhe der Lebensmittelpreise,
sich zunächst nicht verringern werden. Nach der Vorlage sollten wir statt
der Tagegelder von 15 M. ein Pauschale von 3000 M. bekommen, wovon
für jede Sitzung, in welcher ein Abgeordneter fehlt, 20 M. abgezogen
werden sollten. Ich kann nicht einsehen, daß ein Abgeordneter, wenn er
statt bisher rund 2200 M. nunmehr die schlemmerhafte Summe von 3000 M.
bekommt, der Versuchung unterliegen könnte, sich als Berufsparlamentarier
zu entwickeln. Das Herrenhaus hätte diese Sachen in einer Kommission
erörtern sollen, dann wäre es nicht notwendig, sie jetzt im Plenum zu be-
handeln. Ein kleiner Ausgleich mit Rücksicht auf die Wertverhältnisse liegt
nur in der Gewährung der vollen freien Fahrt. In erster Reihe stehen
uns allerdings aus sachlichen Parlamentsrücksichten die vollen Freikarten
zu. Warum soll ein Abgeordneter übrigens von der Freikarte nicht auch
einmal die Annehmlichkeit haben, eine Badereise zu machen, wenn er durch
das monatelange Sitzen hier in Berlin eine Badereise nötig hat. Im andern
Hause ist sogar gesagt worden, schon die jetzige freie Fahrt gäbe aus Gründen
der Verfassung zu Bedenken Anlaß. Wenn die Mitglieder des andern
Hauses seit 1882 ohne Verfassungsbedenken ihre Freikarte benutzen, so sind
wir auch berechtigt, von 1917 ab dieselbe Wohlfahrt zu haben. Es ist der
Einwand erhoben, die Verleihung der Freikarte sei eine erhebliche Erweite-
rung der Parlamentsrechte. Die vielen Ausgaben des Parlamentariers
bestehen aber nicht in dem, was er hier aufwendet, sondern viele von uns
haben große finanzielle Verluste, an welche die Herren allerdings nicht zu
denken brauchen, die alle sechs Wochen einmal auf drei Tage herkommen.
Zum Reisen gehört auch Zeit und Geld, die bloße Freifahrkarte nützt dem
Abgeordneten nichts, um seine Aufgaben für das Vaterland zu leisten.
Es ist ferner gesagt: Warum plötzlich? Daß das Abgeordnetenhaus seit
1850 ohne diese Freifahrkarte ausgekommen ist, ist allerdings richtig, aber
das Herrenhaus besteht ebensolange und hat 1882 diese Neuerung an-
genommen. Wenn wir jetzt erst damit kommen, kann man uns daraus
keinen Vorwurf machen. Leider hat man im Herrenhaus auch staats-
rechtliche Bedenken geltend gemacht: die Verfassung biete keine Hand-
habe für Informationsreisen der Parlamentarier, die Kammer habe das
Recht, sich dadurch zu informieren, daß sie die Regierung befrage oder
Kommissionen zur Untersuchung von Staatssachen ernenne; was darüber
hinausgehe, sei Sache der Exekutive. Ich kann das ganze staatsrechtliche
Bedenken nicht verstehen. Wenn ich noch niemals eine Talsperre gesehen,
wenn ich keine Auffassung von Moorkultur habe, dann kann mich ein Re-
gierungskommissar darüber nicht aufklären. Da kann ich wohl mit vollem
Recht das Bedürfnis empfinden, mich persönlich zu informieren. Das ist
doch kein Eingriff in die Exekutive. Der zweite Redner im Herrenhaus
sagte, er halte die Informationsreisen überhaupt für bedenklich, die Be-
hörden würden sich bedanken, wenn in einer Gegend, für die sich gerade
das Abgeordnetenhaus interessiert, heute und morgen und übermorgen und
alle Augenblicke irgendein Abgeordneter erstklassig angefahren käme und als
Lichtstrahl des Parlamentarismus überall freundlich ausgenommen und be-
sonders informiert werden wolle. Mit aller Zurückhaltung erlaube ich mir
dazu die Bemerkung: ich halte erstens diese Ausführung nicht für sehr
artig, und zweitens kann ich eine Qualifizierung einer derartigen Er-
wägung eigentlich nicht aussprechen. Ich bedauere, daß solche Erwägungen
bei dieser Vorlage im andern Hause stattgefunden haben. Der Redner der
Europäischer Geschichtskalender. LVIII. 19