Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

Die ãsterreitisq ·angarise Nenarqie. (Juni 12. - 16.) 109 
mit überwältigender Mehrheit noch vor dem Friedensschlusse den Kaiser 
von Oesterreich zum König von Rumänien wähle. Die Wirkung dieser 
Wahl wäre der Anschluß Rumäniens an die Monarchie, die Form, in der 
sie sich vollzieht, die Personalunion. Redner legt die militärischen, politi- 
schen und wirtschaftlichen Vorteile dar, die sich aus dieser Verbindung für 
die Monarchie ergeben würden. Für die Rumänen aber würde sie die von 
den Volksgenossen aus sämtlichen rumänischen Ländern sehnlichst gewünschte 
Bereinigung unter demselben Szepter bedeuten. Auf dieses Ziel seien die 
Bestrebungen aller Rumänen gerichtet. Ebendeswegen haben sie keinen 
Anlaß zu staatsrechtlichen Verwahrungen. Bedingungslos bekennen sie sich 
zu Oesterreich-Ungarn. Im Rahmen der Monarchie und ihrer historischen 
Mission gemäß wollen sie sich ihrer nat. Eigenart gemäß ausleben. Auch die 
Rumänen fordern ihren Platz an der Sonne — in Oesterreich-Ungarn. 
Abg. Dr. Tobolka (Tscheche): Die Bölker wollen nach Beendigung 
der großen Kriegskrise selbst über ihr Geschick entscheiden als gleichberech- 
tigte und gleichwertige Faktoren. Wenn sie aber in staatsrechtlicher Hin- 
sicht vereinigt, zusammengefaßt werden sollen, so ist hierzu nicht die zentra- 
listische Form geeignet, sondern die Form der föderalistischen Auszestaltung 
des Staates. Jeder Staat muß heute sein Verhältnis zu den Nationali- 
täten ordnen und regeln. Das böhmische Problem ist einfach da und den 
entscheidenden Faktoren kann es nicht erlassen werden, hierzu Stellung zu 
nehmen. Der Ministerpräsident genoß nicht unser Vertrauen seit der Zeit 
seines Regierungsantrittes, er gewann es auch nicht mit seiner heutigen 
Erklärung noch mit seinem Vorgehen gegen uns; er kann daher nicht auf 
unsere Unterstützung rechnen bei einem Budgetprovisorium ohne Ziffern 
und mit solchen Vollmachten, wie sie keine Regierung vor dieser in Vor- 
schlag brachte. Wir werden gegen das Budgetprovisorium stimmen. 
Abg. Dr. Redlich (Deutschnat.): Die einzige faßbare Antwort, die wir 
bisher auf alle Probleme bekommen haben, hat der Ministerpräsident mit 
dem einen Worte gegeben: Oesterreich. Sein Programm ist Oesterreich. 
Damit ist aber für dieses Haus zunächst nicht viel getan. Oesterreich wollen 
wir alle. Der Gedanke, daß der österr. Staat mitten in diesem Weltkriege 
wieder ein Problem noch mehr als früher geworden ist, ist vielleicht das 
wichtigste Ergebnis des Krieges. Es ist auch wichtig, festzustellen, daß in 
die Reihe derjenigen, welche die österr. Verfassung als reformbedürftig be- 
trachten, nun auch die österr. Regierung tritt. Der österr. Staat kann 
in unserer Zeit nur bestehen, wenn ihm die Lebensordnung nicht von oben 
oktroyiert wird. Ich bin ein abgesagter Feind der Idee, Oesterreich durch 
Oktroyierungen zu einem glücklichen, gesegneten Staate zu machen. Was 
wir brauchen, ist, auf der heute schon bestehenden Grundlage fortzubauen, 
mit dem Ziel einerseits der Erhaltung des Einheitsstaates, der in diesem 
Kriege sich doch als die europäische Einheit aller unserer Bölker bewährt 
hat, andererseits die inneren Zustände so zu gestalten, daß sie sämtlichen 
Bölkern zwar nicht alles bieten, aber doch wohnlicher erscheinen als bisher. 
Es ist höchste Zeit, daß wir der Welt zeigen, daß wir selbst aus uns heraus 
wohl nicht alles auf einmal, aber wenigstens etwas leisten können, was 
mehr als alle wohlgemeinten patriotischen Reden unseren Feinden zeigen 
würde, daß sie Oesterrgich doch nicht kennen, daß sie die österr. Völker nicht 
kennen und daher das schwerste Unrecht gegen diesen alten Träger einer 
entwickelten Kultur begehen, indem sie mit ungemessenen feindseligen An- 
schlägen und Plänen gegen uns vorgehen. Wenn wir aber das nicht ver- 
mögen, wenn wir uns damit begnügen, die „berühmten Aufgaben“ zu 
lösen, die uns gestellt werden, kann es für uns noch sehr ernst werden. 
Wir werden verlangen müssen, daß wir den Entwurf eines Budgets be- 
  
 
	        
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