110 Die ãsterreithisqh· nugarishe Nenatij ie. (Juni 12. - 16.)
kommen. Die Frage der Autonomie ist in Oesterreich soweit gefördert
worden, daß eine Regierung, die sich über diese Frage schlüssig macht, die
Lösung bringen könnte. Die Regierungen in Oesterreich vergessen, daß ein
Parlament nur fungieren kann, wenn ihm eine wirklich führende und
leitende Regierung zur Seite steht. Nichts ist ungerechter, als dem Hause
des allgemeinen Wahlrechtes vorzuwerfen, daß es Staatsnotwendigkeiten
versagt hat. In keiner Delegation wurde von den VBertretern Oesterreichs
in dieser Richtung etwas abgestrichen. Hat man aber außer den Staats-
notwendigkeiten Ideen, Vorschläge der Regierung, die das innerste Leben,
die auch das wirtschaftliche Leben der Monarchie betreffen, so vorgelegt
bekommen, daß man sagen könnte, die Regierung stehe mit all ihrer geistigen
Krast hinter einer bestimmten Lösung? Man sagt, an den Fronten
kämpfen unsere Völker zur Bewunderung aller, wie ist es möglich, daß
dann hier nicht auch derselbe Geist der Brüderlichkeit und Einheit zu sehen
ist? Unsere Leute wissen, daß sie die Heimat, Oesterreich verteidigen. Sie
alle wollen Oesterreich. Wenn unsere Brüder, Väter und Söhne zurück-
kommen werden, werden sie verlangen, daß wir nicht auf den Wegen, auf
denen wir den Feind bekämpfen, sondern auf den Wegen des bürgerlichen
Fortschrittes, der friedlichen moralischen, ethischen Entwicklung aller unserer
Völker ein gleiches Ziel erreichen: die Festigung, Kräftigung und Siche-
rung Oesterreichs als einer großen europäischen Einheit. (Lebh. Beif. 1)
13. Juni. — Abg. Seitz (btsch. Soz.) führt aus: Das erste Wort,
das die Soz. in diesem Hause sprechen, gilt dem Frieden. Man soll es
weit hinaus hören in die Lande, alle unsere Brüder und die anderen dies-
seits und jenseits der Schützengräben sollen es hören, daß die Massen des
Volkes in diesem Lande erfüllt sind von der Sehnsucht nach Frieden. Die
Soz. haben seit Beginn des Krieges seine objektiven Ursachen festgestellt:
die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft, die Expansion des Kapitals,
kurz alle jene sozialen, wirtschaftlichen, finanzpolitischen und politischen
Erscheinungen, die wir in ihrer Gesamtheit den Imperialismus nennen.
Aber sie haben von allem Anfang an mit Nachdruck betont, daß man mit
dieser allgemeinen Erklärung nicht um den wichtigsten Punkt herumkommen
kann, nämlich die politische und persönliche Berantwortung derer festzu-
ellen, die im Jahre 1914 an den maßgebenden Stellen standen und deren
intellektuelle oder moralische Unzulänglichkeit verschuldet hat, daß wir in
diesen Krieg gerissen wurden. Diese Feststellung in jedem einzelnen Staate
wird Aufgabe der politischen Parteien sein, und wir können heute schon
sagen, daß, sobald der Krieg vorüber ist, es auch unsere erste Pflicht sein
wird, die Verantwortlichkeit in diesem Staate festzustellen. Eines steht
heute schon fest: daß nämlich in den schweren Tagen von 1914 die berufs-
mäßige Diplomatie gänzlich versagt hat daß sie sich unfähig erwiesen
hat, diese furchtbare Gefahr zu bannen und daß sie damit das Recht ver-
wirkt hat, künftighin die bevorrechtete Stellung einzunehmen, die ihr bisher
zugekommen ist. Nach den schweren Opfern, die der Krieg allen auferlegt
hat, erkennt insbesondere das gesamte Proletariat, wie fehlerhaft es war,
die großen Fragen der Weltpolitik zu vernachlässigen. Aus dem Schlaf
erweckt, erkennen nun die Völker ihre Pflicht und rufen nach internationalem
Recht, nach Schiedsgerichten, nach Abrüstung, nach einem Verständigungs-
und Rechtsfrieden, und sie sind fest entschlossen, einen Weg zu einer Rechts-,
Wirtschafts= und Kulturgemeinschaft der Völker der ganzen Erde zu finden.
Ein Vorbote dieser zukünftigen Arbeiten des organisierten Proletariats
find die Arbeiten von Stockholm. Die Soz. sind die letzten, die sich
darüber täuschen, was in Stockholm geleistet werden kann. Die inter-
nationale Friedenskonferenz in Stockholm kann den Völkern den Frieden