Die Irrichisch-ungarische Moenarcie. (Mai 31.) 85
Abgeordnetenhauses hervor, der beweise, daß trotz der staatsrechtlichen Er-
klärungen einzelner Parteien, denen nach übereinstimmendem Urteil der
Presse eine mehr theoretische Bedeutung innewohnt, der Volksvertretung,
mögen die Wege der einzelnen Parteien auch weit auseinandergehen, ein Ziel
gemeinsam ist: die Stärkung des Staates und die Wohlfahrt der Bölker.
Am gleichen Tage tritt das Herrenhaus zu seiner Eröff-
nungssitzung zusammen.
Nachdem Vizepräsident Fürst Fürstenberg die Begrüßungsrede ge-
halten hat, werden die üblichen Wahlen vorgenommen.
31. Mai. (Reichsrat.) Thronrede.
Kaiser Karl eröffnet die XXII. Session des Reichsrates mit folgender
Thronrede: Geehrte Herren von beiden Häusern des Reichsrates! Nach
einer von frühen Jünglingsjahren bis in das hohe Greisenalter der un-
ermüdlichen Sorge für das Wohl Seiner Völker geweihten und von dem
Glanze der edelsten Regententugenden umstrahlten Herrscherlaufbahn ist
Mein erhabener Vorgänger, Kaiser Franz Joseph I., im achtundsechzigsten
Jahre Seiner Regierung aus dem Leben geschieden. Durch Gottes Fügung
bis zuletzt mit der ungeminderten Fülle Seiner Geisteskraft begnadet und
gesegnet in den Werken Seines hohen Amtes ist Er dahingegangen; in
dem Herzen des Volkes und in unvergänglichen Werken wird das Andenken
des Verklärten fortleben, der dem Staat aus eng beschränkten Verhältnissen
der Vergangenheit heraus die Bahnen der verfassungsmäßigen Entwicklung,
des blühenden kulturellen und wirtschaftlichen Fortschrittes wies. Im In-
nersten bewegt, gedenke Ich der rührenden Zeichen kindlicher Liebe für den
in Gott ruhenden Kaiser, der treuen, teilnahmsvollen Gesinnung für Mich
und Mein Haus, in denen Meine geliebten Völker wetteiferten und die
Mir ein wahrer Trost in jenen Tagen der Prüfung gewesen. Auch Sie,
geehrte Herren, haben dabei nicht gefehlt und viele von Ihnen sind hierher
geeilt, um an der Bahre des allgeliebten Herrschers Ihm noch einmal den
Zoll der Ehrfurcht zu leisten. Herzlich danke Ich Ihnen dafür.
Der Wille des Allmächtigen hat Mich in einer schicksalsschweren Zeit
zur Lenkung des Staates berufen. Des gewaltigen Ernstes der Aufgabe,
die die Borsehung auf Meine Schultern gelegt, war Ich Mir von Anbeginn
bewußt. Aber Ich fühle den Willen und die Kraft in Mir, in treuer Er-
füllung Meiner Herrscherpflichten nach dem Vorbilde Meines erlauchten
Vorgängers Meinem hehren Amte mit dem Beistande Gottes gerecht zu
werden. Das Staatsinteresse soll nicht länger jener wirksamen
Förderung entbehren, die ihm die eifrige Mitarbeit einer
den Kreis ihrer Befugnisse richtig erfassenden, einsichtigen
und gewissenhaften Volksvertretung zu bieten vermag. Ich
habe Sie, geehrte Herren, zur Ausübung Ihrer verfassungsmäßigen Tätig-
keit berufen und heiße Sie heute an der Schwelle Ihres Wirkens herzlich
willkommen.
Im vollen Bewußtsein der von Meinem erlauchten Vorgänger über-
nommenen verfassungsmäßigen Pflichten und aus eigener tiefster Ueber-
zeugung will Ich Ihnen erklären und feierlich bekräftigen, daß es Mein
unabänderlicher Wille ist, Meine Herrscherrechte jederzeit in einem
wahrhaft konstitutionellen Geiste auszuüben, die staatsgrundgesetz-
lichen Freiheiten unverbrüchlich zu achten und den Staatsbürgern jenen
Anteil an der Bildung des Staatswillens unverkürzt zu wahren, den die
geltende Verfassung vorsieht. In der treuen Mitarbeit des Volkes und
seiner Vertreter erblicke Ich die verläßliche Stütze für den Erfolg Meines