Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierunddreißigster Jahrgang. 1918. Zweiter Teil. (59b)

frankreich. (Dez. 27.— 31.) 295 
vermißt 3000 Offiziere, 311000 Mann, am Leben befindliche Gefangene 
Z300 Offiziere, 438000 Mann. 
27.—31. Dez. (Kammer.) Budgetprov., allgem. polit. Lage, 
Vertagung. 
Die Kammer beginnt die Verhandlung über die prov. Bud es- 
zwölftel für das erste Vierteljahr 1919 (s. S. 292), die vor dem 1. 
die Zustimmung des Parlaments nötig machen. Die äußerste Linke benütz 
diese Gelegenheit, um eine Generaldebatte über die politische Lage zu 
erzwingen, der die Regierung bisher aus dem Wege gegangen war. 
Abg. Cachin (Soz.) verlangt, die Regierung möge ihre leitenden Ge- 
danken über den Frieden bekanntgeben und mitteilen, ob die Beratungen 
in Versailles vollständige Oeffentlichkeit erhalten werden. Redner wendet sich 
gegen die geheimen Verträge und erinnert an die vergangenen Verträge 
mit Rußland und an jene der Jahre 1916 und 1917. — Briand unter- 
bricht ihn mit der Erklärung, er teile die Ansicht Cachins über die ge- 
heimen Verträge, doch sei es nötig, daß vor Abschluß eines Vertrages 
Besprechungen von Regierung zu Regierung stattfinden. Es sei unmöglich, 
daß diese Besprechungen vor die Oeffentlichkeit gelangen. Im übrigen sei 
der Ausschuß für Ausw. Angelegenheiten über die Besprechungen betr. Ver- 
träge und Uebereinkommen zur Verwirklichung des höchstmöglichen Einver- 
nehmens zwischen den Verbündeten hinsichtlich aller Probleme auf dem 
laufenden gehalten worden. Diese Uebereinkommen würden erst dann zu 
Verträgen werden, wenn sie von der Friedenskonferenz und dem Parlament 
genehmigt sein werden. — Cachin erklärt sodann, was Elsaß-Lothringen 
betreffe, so sei er, nachdem er den Empfang der franz. Truppen durch die 
dortige Bevölkerung erlebt habe, überzeugt, daß diese Bevölkerung französisch 
sei. Immerhin wäre eine Abstimmung von Vorteil gewesen, während es 
sich bis jetzt um eine einfache Angliederung handle. Es dürfe aber unter 
keinen Umständen eintreten, daß auch nur ein einziger Deutscher gegen 
seinen Willen angegliedert werde. „Ich spiele hierbei“, fährt C. fort, 
„auf die Angliederung des linken Rheinufers und des Saarbeckens an. Ich 
will keine Angliederung. Ich lasse höchstens zu, daß eine Abstimmung ent- 
scheide“. (Pfuirufe im Zentrum.) Der Berichterstatter des Kammerausschusses 
für ausw. Angelegenheiten Franclin-Bouillon ruft: Auch der Ausschuß 
steht auf dem Standpunkt des Redners, freilich nur in bezug auf das linke 
Rheinufer. (Zurufe der Rechten: Aber nicht in bezug auf das Saarbecken.) 
Franclin-Bouillon stimmt diesem Ausruf bei. Abg. Delahaye, ebenfalls 
Mitglied des Ausschusses, ruft: Das Saarbecken werde vom Ausschuß ein- 
stimmig gefordert und man habe zur Legalisierung eine Volksabstimmung 
ins Auge gefaßt. — Cachin beglückwünscht sich, daß die Regierung auf 
die bewaffnete Expediton nach Rußland verzichtet habe. — Minister des 
Aeußern Pichon unterbricht den Redner mit den Worten: Ich habe niemals 
gesagt, daß wir auf diese Expedition verzichtet haben. Ich habe bloß gesagt, 
daß eine Expedition unter den Umständen, wie in der Presse davon die 
Rede war, niemals in der Absicht der Regierung gelegen sei. — Cachin 
erhebt gegen den Minister den Vorwurf, Einflüsterungen von Staatsmännern. 
des früheren russischen Regimes zu folgen, und verlangt von ihm die 
Zurückziehung der Truppen aus Rußland. Redner rühmt den Präsidenten 
Wilson und seine edlen Gedanken und verlangt, daß diese Gedanken über 
der Pforte der Versailler Konferenz eingegraben werden sollen. 
Mehrere Redner fordern von der Regierung, die Lebensmittelversorgung 
der Bevölkerung und die Wiederherstellung der befreiten Gebiete eifriger 
zu betreiben.
	        
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