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I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 62.
Krone bezw. ihrer Organe zum Erlasse von Rechtssätzen bestehen geblieben, z. B.
in Schulangelegenheiten, s. Arndt in der Zeitschr. f. öff. Recht 1885 S. ölof.
— — — — Wenigstens seit der Verordnung über die Publikation der Ge-
setze u. s. w. vom 26. Oktober 1810 galt als „Gesetz“ in Preußen Alles und nur
Das, was des Königs Unterschrift trug und in der für „Gesetze“ vorgeschriebenen
Form verkündet wurde, Koch, Preuß. Privatr. 3 Aufl. 1. § 22. Rechtssätze aller
Art finden sich mit der Unterschrift der Minister, Regierungen u. s. w. in den ver-
schiedensten Verwaltungsblättern, welche ebenfalls unbeschadet der „Gesetze“ besondere
Rechte und Pflichten der Bürger festsetzten. Da sie des Königs Unterschrift nicht
tragen, auch nicht wie Gesetze verkündet sind, stehen sie diesen nach; sie sind nicht
wie diese unbedingt, sondern nur verbindlich, soweit sie mit diesen nicht in Wider-
spruch stehen, sie können auch keine höheren Strafen androhen, als in den „Ge-
setzen“ zugelassen ist u. s. w.
— — — — Die Verhandlungen des Vereinigten Landtages 18417 und 1818
sowie diejenigen der Revisionskammern über den heutigen Art. 62 ergeben, daß
man durchaus nicht „Rechtsatz“" mit „Gesetz“ gleich stellte und verfassungsmäßig
„Rechtsnormen“ nur noch mit Zustimmung des Landtages gestatten wollte (ogl.
u. A. Verhandlung der I. Kammer 1849 S. 1315f.).
Wie im Februar 1887 um das Septennat, stritt man sich in den Jahren
1848 und 1849 um das sog. „Veto“ des Königs, darum nämlich, ob und welche
Macht noch der Krone bei der Gesetzgebung zustehen sollte, und dieser Streit er-
klärt Fassung und Inhalt des Art. 62. Daß an den Satz „Rechtsnormen aller
Art dürfen fortan nur mit Zustimmung des Landtages ausgestellt werden“, damals
Niemand gedacht hat, wird man leicht feststellen, wenn man sich die Mühe geben
wird, die Verhandlungen der Kammern und ihrer Kommissionen z. B. über die
Art. 45, 62, 63 und 106 der Verfassungsurkunde nachzulesen. Wäre man von
jenem Satze ausgegangen, so hätte man zum Mindesten den (für den wichtigsten
gehaltenen) Titel „von den Rechten der Preußen“ fortlassen können und müssen.
Wird dies kurz zusammengefaßt, so argumentirt Arndt so: Gesetze konnte nur
der König erlassen, Rechtsnormen auch die Minister aufstellen, Gesetz und Rechts-
norm waren also nicht identisch, bei der Schaffung der Verfassungsurkunde hat Niemand
an die Herstellung solcher Identität gedacht, folglich ist auch für Art. 62 Gesetz nicht
identisch mit Rechtsnorm, Abs. 1 bezieht sich also nicht auf den Gesetzesinhalt, sondern
auf die Gesetzesform und die Zustimmung des Landtages ist nur da erforderlich, wo
ausdrücklich ein Gesetz verlangt wird.
Diese auch von Bornhak Bd. 1 S. 175 und von v. Stengel S. 167 getheilte
Ansicht ist eine irrige. «
Die vor Preußens Eintritt in die Reihe der konstitutionellen Staaten liegende
Preußische Rechtsgeschichte kennt auf der einen Seite die Königlichen Erlasse, auf der
anderen die Verordnungen der höheren Staatsbehörden. Die Erlasse des Königs sind
Kabinetsordres oder Nicht-Kabinetsordres. Die Kabinetsordres sind bloß von dem
Könige vollzogen und an eine bestimmte Staatsbehörde gerichtet, werden auch nur dann
publizirt, wenn sie allgemeine Giltigkeit haben sollen. Die Nicht-Kabinetsordres
werden auf dem vorgeschriebenen Wege vorher berathen, nicht allein von dem König,
sondern auch ministeriell vollzogen, haben allgemeinen Charakter und werden nach statt-
ehabter Vollziehung publizirt. Die Benennung dieser Nicht-KRabinetsordres ist eine sehr ver-
schiedene. Gesetz, Verordnung, Edikt, Deklaration, Instruktion, Reglement, Publikandum,
Bekanntmachung, Patent, Konstitution, Ordnung, Mandat, Avertissement, ohne daß sich
für diese bunten Bezeichnungen eine feste Regel angeben läßt. Am seltensten ist die
efeichnung „Gesetz“; diese findet sich seit der Wirksamkeit des Staatsrathes, also seit
Ende 1817 fast nur für diejenigen Erlasse, welche nach eingeholtem Gutachten des
Staatsrathes ergehen, wogegen umgekehrt keineswegs alle nach solchem Gutachten er-
gangenen Königlichen Erlaffe Gesetze heißen. Führt hiernach die Durchmusterung der
Bezeichnungen der einzelnen Königlichen Erlasse zu keinem Ergebniß, so muß sich ein
solches unbedingt aus den allgemeinen Vorschriften über die Gesetzgebung ermitteln
lassen, weil anderenfalls die unentbehrliche Grenze zwischen dem Befehlsrecht des Mo-
narchen und dem Befehlsrecht der Minister gefehlt hätte.
Das Allgemeine Landrecht bestimmt in seinem Theil II. Titel 13 „Von den
Rechten und Pflichten des Staats überhaupt“:
82.
Die vorzüglichste Pflicht des Oberhaupts im Staate ist, sowohl die äußere