I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 96. 277
Der Antrag ist bei dem Gerichte anzubringen, bei welchem die Sache in
erster Instanz anhängig war. Der Antrag ist der Gegenpartei von Amtswegen
zuzustellen. Diese kann innerhalb der Frist eines Monats einen Schriftsatz über
den Kompetenzkonflikt einreichen.
Im Uebrigen finden die Vorschriften der §§ 9 bis 17, 20 dieses Gesetzes
entsprechende Anwendung.
Der Gerichtshof bhat in seinem Urtheil die demselben entgegenstehenden Ent-
schedungen aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an die betreffende Instanz zu verweisen.
9 22.
Bei Anwendung der Vorschriften dieser Verordnung gelten die Auseinander-
setzungsbehörden als Verwaltungsbehörden.
l 23.
Auf die Erledigung der vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung anhängig
ewordenen Kompetenzkonflikte finden die bisherigen Bestimmungen über das Ver-
sahren Anwendung.
8 24.
Diese Verordnung tritt gleichzeitig mit dem Gerichtsverfassungsgesetze in Kraft.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem
Königlichen Insiegel.
Gegeben Bad Gastein, den 1. August 1879.
L. S.) Wilhelm.
Gr. zu Stolberg. Leonhardt. Gr. zu Eulenburg. Bitter.
v. Puttkamer. Lucius.
Hiernach sind folgende Grundsätze zu beachten:
1. Die Gerichte haben die Zulässigkeit des Rechtsweges von Amtswegen zu
prüfen. Eine Entscheidung, durch welche die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Rechts-
weges mit Unrecht angenommen worden, ist stets als auf einer Gesetzesverletzung be-
ruhend anzusehen. Die Entscheidung ist ausschließlich nach Maßgabe der Gesetze zu
fällen; weder den Parteien, noch den Gerichts= oder Verwaltungsbehörden steht eine
Verrückung der gesetzlich bestimmten Grenzen zwischen der ordentlichen Rechtspflege und
der Verwaltung zu. Demgemäß dürfen die Gerichte der etwa vorangegangenen Ent-
scheidung der Verwaltungsbehörden über die Zulässigkeit des Rechtsweges keinen maß-
gebenden Einfluß einräumen und müssen dieselbe auf Grund der Gesetze auch dann
verneinen, wenn die Verwaltungsbehörden selbst den Rechtsweg beschritten oder die Par-
teien auf den Rechtsweg verwiesen haben.
2. Die Erhebung des Kompetenzkonflikts ist nur zulässig bei bürgerlichen Rechts-
streitigkeiten, also unzulässig in Strafsachen, Geschäften der freiwilligen Gerichtsbarkeit
und Geschäften der Justizverwaltung. Es macht keinen Unterschied, ob der Rechtsstreit
ichen Privatpersonen geführt wird, oder ob eine Verwaltungsbehörde Partei ist.
iei Erhebung ist auch nicht an die Zustimmung der Parteien, insbesondere des Be-
klagten, gebunden und kann selbst gegen deren ausdrücklichen Willen stattfinden.
3. Sie ist — bei dem positiven Kompetenzkonflikt — ausgeschlossen, wenn die Zu-
lässigkeit des Hechtsweges durch rechtskräftiges Urtheil feststeht, und zwar nicht blos,
wenn der Rechtsstreit durch Definitivurtheil entschieden ist, sondern auch dann, wenn
nur ein der Rechtskraft fähiges und rechtskräftig gewordenes Zwischenurtheil vorliegt,
welches die Zulässigkeit des Rechtsweges entweder direkt auf erhobene Präjudizialeinrede
(Civilprozeßordnung §8 247 Nr. 2, 218) oder indirekt durch eine zur Sache ergehende
Entscheidung ausspricht, insbesondere also wenn im Urtundenprozess ein rechtskräftiges
Urtheil ergangen ist, in welchem dem Beklagten die Ausführung seiner Rechte vorbe-
halten wird, und wenn bei einem nach Grund und Betrag streitigen Anspruch über den
Betrag vorab entschieden ist (Civilprozeßordnung §§ 563, 27 . Dagegen wird sie
nicht ausgeschlossen durch solche Zwischenurtheile, welche zwar für das Gericht bindend,
aber nicht für sich der Rechtskraft fähig sind, sondern nur als Bestandtheile der späteren
Definitiventscheidung der Anfechtung durch die Rechtsmittel unterliegen (Civilprozeß-
ordnung 88 275, 289, 473, 510). Ebenso ist die Erhebung des Kompetenzkonflikts
dann nicht ausgeschlossen, wenn durch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen
den Ablauf der Nothfrist das rechtskräftige Urtheil (Civilprozeßordnung § 211)
berr m. die Wiederaufnahme des Verfahrens (Civilprozeßordnung §§ 541, 553) be-
eitigt wird.