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fünfzehn Seiten groß, sind vorzüglich. Aber das Werk leidet an einem
schweren Fehler. Arndt geht von dem Satze aus, daß die Verfassungsurkunde
eine freiwillige Gabe der Krone sei und diese alle diejenigen Befugnisse,
welche ihr durch die Verfassung nicht entzogen, die Volksvertretung dagegen
nur diejenigen Rechte besitze, welche ihr in der Verfassung verliehen seien.
Der erste Theil dieses Satzes ist natürlich nur in demselben Sinne richtig, in
welchem man auch beim Zwange noch von Freiwilligkeit spricht — etsi non
coactus noluisset, tamen coactus voluit, — der zweite Theil dagegen, wie
man immerhin über seine theoretische Richtigkeit denken mag, in weitem Um—
fange zur thatsächlichen Herrschaft gelangt. Arndt will diesen zweiten Theil
auch theoretisch als richtig erweisen, keistet sich dabei aber Interpretationskunst-
stücke, welche Dahlmann, an den er im Vorwort zur zweiten Auflage erinnert,
„konzessionirte Brustkaramellen für beängstigte verfassungsfeindliche Herzen“ ge-
nannt haben würde, und bezüglich deren v. Schulze's Ausspruch, daß sie dem
unzweideutigen Ausdruck der Verfassungsurkunde Gewalt anthäten, fast noch zu
milde ist. In dem Vorworte zur zweiten Auflage behauptet Arndt, daß seine
Arbeit von ihm als eine juristische aufgefaßt sei, aber wenn dies dahin ver-
standen werden soll, daß er rein sachlich, nicht im Sinne einer bestimmten
politischen Parteirichtung gearbeitet habe, so täuscht er sich selbst. In einem
anderweitigen Aufsatze über das finanzielle Gnadenrecht des Monarchen (in
einer Halle'schen Zeitung) bekennt er, daß er von einem bestimmten politischen
Standpunkt aus argumentirt; er beruft sich nämlich darauf, daß „selbst der
liberale v. Rönne"“ gleicher Ansicht sei. Wenn er in dem Vorwort zur zweiten
Auflage sein Werk einen „ehrlichen Versuch“ nennt, „die Theorie und Praxis
des Preußischen Staatsrechts mit einander zu verbinden", so muß nach allem
diesem der Versuch als mißlungen bezeichnet werden, da Arndt's politischer
Standpunkt fortwährend durchschlägt und den Blick des so scharfsinnigen Autors
wiederholt in bedauerlicher Weise trübt.
Neben diesen Werken bieten auch die dem Reichsstaatsrecht gewidmeten
Werke von v. Rönne, v. Schulze, Laband, Hänel, Meyer und Zorn
manches Material zur Interpretation der Preußischen Verfassungsurkunde. Aus
der älteren staatsrechtlichen Litteratur sind noch jetzt zu nennen H. A. Zachariä,
Deutsches Staats= und Bundesrecht, dritte Aufl. 1865/1867 und v. Gerber,
Grundzüge des deutschen Staatsrechts, dritte Aufl. 1880.
Diese Werke und ebenso die allerdings nicht sehr zahlreichen Schriften
über einzelne wichtige Fragen aus dem Preußischen Staatsrecht von Perthes,
Guneist, Laband, Zorn, Arndt u. A. sind zu dem auf den folgenden
Blättern gegebenen Kommentar benutzt. Allerdings sind sie nur vereinzelt citirt,
indem für den litterarischen Apparat auf die genannten Darstellungen von
v. Rönne und v. Schulze verwiesen werden mag.
Textausgaben mit und ohne kurze Noten giebt es mehrere. Die jüngste
hat 1893 der Leipziger Professor Binding geliefert. Dieselbe ist trotz
mehrerer in den Vorbemerkungen bezw. Anmerkungen befindlicher Versehen zu
empfehlen, da der Abdruck genau und die äußere Ausstattung geschmackvoll ist.