Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

56 
C. 
I. Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Art. 4. 
Das Allgemeine Landrecht bestimmt in 88 30 bis 33 II 1: 
Mannspersonen von Adel können mit Weibspersonen aus dem Baner= oder 
geringerem Bürgerstande keine Ehe zur rechten Hand schließen. 
Zum höheren Bürgerstande werden hier gerechnet: alle öffentlichen Beamten, 
(die geringeren Subalternen, deren Kinder in der Regel dem Canton unterworfen 
sind, ausgenommen) Gelehrte, Künstler, Kaufleute, Unternehmer erheblicher Fabriken, 
und deienigen. welche gleiche Achtung mit diesen in der bürgerlichen Gesellschaft 
enießen 
Zu ungleichen Ehen eines Adeligen (§ 30) kann das Landesjustizkollegium 
der Provinz Dispensation ertheilen, wenn der, welcher eine solche Ehe schließen 
will, nachweiset, daß drei seiner nächsten Verwandten desselben Namens und Standes 
darein willigen. 
Kann er dergleichen Einwilligung nicht beibringen, oder findet sich von Ver- 
wandten, die mit den Konsentirenden gleich nahe sind, ein Widerspruch, so kann die 
Dispensation nur von dem Landesherrn unmittelbar ertheilt werden. 
Das vormalige Obertribunal hat in mehreren Urtheilen (Z. B. Entscheidungen 
Bd. 26 S. 35) diese Bestimmungen für nicht aufgehoben durch Art. 4 erklärt, weil, wie 
es in Anlehnung an die Savigny'sche Lehre annahm (oben S. 22), dieser Artikel nur 
eine bloße Verheißung oder Verweisung auf ein, die in ihm ausgesprochenen Grundsätze 
erst zur praktischen Anwendbarkeit bringendes Spezialgesetz, keineswegs aber dispositive 
Bestimmungen enthielte, durch welche nach Art. 109 die mit ihnen unvereinbaren Be- 
stimmungen der älteren Gesetzgebung ausgehoben wären. Um solche Entscheidungen un- 
möglich zu machen, ist durch das aus der Initiative des Abgeordnetenhauses hervor- 
gegangene und von dem Herrenhause ohne Diskussion angenommene Gesetz, betreffend 
die Aufhebung der §§ 30 bis 33 Titel 1 Theil II des Allgemeinen Landrechts, vom 
22. Februar 1869 (Ges.-Samml. S. 365) jenes Eheverbot wegen Ungleichheit der S Stände 
„mit allen seinen Jotgen aufgehoben worden“. Das Gesetz verordnet zugleich, daß die 
dem Verbote zuwider geschlossenen Ehen zu ihrer Gültigkeit der nochmaligen seierlichen 
Vollziehung nicht bedürfen, besagt aber nicht, ob das Eheverbot schon durch den Art. 4 auf- 
gehoben ist, äußert sich auch nicht über seine etwaige rückwirkende Kraft und über seine 
Tragweite in Bezug auf die Successionsfähigkeit in Fideikommisse und in adelige Lehne 
nach provinziellem Recht. Außerdem bezieht es sich nicht auf die Ehen der standes- 
herrlichen Familien, weil das landrechtliche Eheverbot selbst aus einer Zeit stammt, in 
welcher der Begriff der Standesherren noch gar nicht existirte. 
. Das Reglement vom 6. August 1808, wegen Besetzung der Stellen der 
Porte-Epée-Fähnriche und Offiziere (Ges.-Samml. 1806°1810 S. 403) bestimmt: 
Einen Anspruch auf Offizierstellen sollen von nun an in Friedenszeiten nur 
Kenntnisse und Bildung gewähren, in Kriegszeiten ausgezeichnete Tapferkeit und 
Ueberblick. Aus der ganzen Nation können daher alle Individnen, die diese Eigen- 
schaften besitzen, auf die höchsten Ehrenstellen im Militair Anspruch machen. Aller 
bisher stattgehabte Vorzug des Standes hört beim Militair ganz auf, und Jeder 
ohne Rücksicht auf seine Herkunft hat gleiche Rechte und Pflichten. 
In ähnlicher, obgleich nicht in gleich befehlender Weise erklärte bezüglich der Civil- 
ämter das Publikandum, betreffend die Verfassung der obersten Staats- 
behörden in Beziehung auf die innere Landes- und Finanzverwaltung, 
vom 16. Dezember 1808 (Rabe, Sammlung Preußischer Gesetze und Verordnungen 
Thl. IX S. 383) in seinem Eingange: 
Die Nation erhält eine, ihrem wahren Besten und dem Zwecke angemessene, 
Theilnahme an der öffentlichen Verwaltung, und dem ausgezeichneten Talent in 
jedem Stande und Verhältniß wird Gelegenheit eröffnet, davon zum allgemeinen 
Besten Gebrauch zu machen. 
Der dritte Satz des Art. 4 setzt in unzweidentiger Weise staatsgrundgesetzlich fest, 
daß, die Einhaltung der durch das Gesetz geordneten Bedingungen vorausgesetzt, kein 
Standes--, Glaubens= noch sonstiger Unterschied den Befähigten von der Bewerbung um 
die öffentlichen Civil-, Militair-, Kirchen, und Schul Aemter — und von deren 
Erlangung ausschließen soll. Dies wird bezüglich des Glaubensunterschiedes durch Art. 12 
besonders erhärtet, erhält aber durch Art. 14 eine Beschränkung dahin, daß bei den mit 
der Religionsübung im Zusammenhange stehenden Einrichtungen des Staates die christ- 
liche Religion — der katholischen, der lutherischen, der reformirten Kirche — zu Grunde 
zu legen sand. Dem Recht des Befähigten, sich um ein öffentliches Amt zu bewerben
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.