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weil sie dessen zu der ihr obliegenden freien Entschliessung
ständig bedarf und auf die Erzeugnisse der langsam arbeitenden
Gesetzgebungsmaschinerie nicht warten kann, zur Aufrecht-
erhaltung des staatlichen Lebens einseitig Normen allgemein
bindender Natur aufzustellen, nicht minder bedarf die Verwaltung
zur Durchführung ihrer Aufgaben dieser Möglichkeit. Diese
gesamten, von Regierung und Verwaltung einseitig aufgestellten
Rechtsnormen führen im Gegensatz zum Gesetz im konstitutionellen
Staat den Namen Verordnung. Unter Berücksichtigung der
Thatsache, dass eine dritte Formulierung staatlichen Willens das
Urteil ist, wird in der Litteratur die Verordnung dahin
definiert, dass sie sei diejenige staatliche Willens-
erklärung, welche nicht Gesetz und Urteil ist (Jellinek);
Gesetz ist dann die vom Inhaber der Staatsgewalt unter ver-
fassungsmässiger Mitwirkung der Volksvertretung aufgestellte
Rechtsnorm.
Demnach ist im konstitutionellen Staat der Gegensatz von
Gesetz und Verordnung ein formeller. Damit kann aber das
Staatsrecht nicht ausreichen, es verlangt, dass diese beiden Norm-
erscheinungen in ein festbestimmtes Verhältnis zu einander ge-
Setzt werden.
Wenn nun auch Gesetz und Verordnung beide gleichmässig
in ihrer rechtlichen Möglichkeit durch das Staatsrecht gebunden
sind, so ergiebt die natürliche Superiorität des (resetzes von
selbst, dass wohl eine Verordnung durch Gesetz, nicht aber
dieses durch jene beseitigt werden kann. Daraus ist dann der
allgemeine Grundsatz abgeleitet, dass eine Verordnung nicht
contra legem sein dürfe. Weiter wird man aber, so bedauer-
lich dies auch praktisch ist, die Begriffe Gesetz und Verordnung
allgemeingültig materiell nicht abgrenzen können. Die ver-
schiedene Bewertung der Gegenstände, die wechselnden Auf-
gaben des Staates, die Notwendigkeit einer freien Regierungs-
thätigkeit, sie alle verbieten eine ein für allemal geltende Fixierung,
welche Materien durch Gesetz, welche durch Verordnung ge-
regelt werden sollen. Das wird vielmehr für alle Zeiten Auf-
gabe des einzelnen positiven Staatsrechtes sein. Nur das sei an
dieser Stelle noch hervorgehoben, dass ein Staat, der nur mit
Gesetz auskommen will, undenkbar ist. Mit Rücksicht auf die,
wie schon betont, mit der Inhaberschaft der Staatsgewalt ver-
bundene freie Entschliessung muss dem Inhaber die rechtliche