Der relative
Staatszweck.
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der Verwirklichung der Sittlichkeit oder in einer Abart, die
der christlichen Religion, weil beide bestimmenden Begriffe
ebenso wandelbar, unmessbar und willkürlich sind wie der der
allgemeinen Wohlfahrt.
Im Gegensatz zur unerlaubten Ausdehnung des Staatszweckes
durch diese Theorien beschränken ihn diejenigen unzulässig, die
ihn nur in der Verwirklichung der Freiheit oder der
Sicherheit oder des Rechtes erkennen und gegenüber dem
Polizeistaat der Wohlfahrtslehre den Rechtsstaat in diesem
Sinne aufbauen.
Die Abwendung von den angeführten Meinungen ist heute
allgemein. Die jetzt herrschende 'Theorie vom relativen Staats-
zweck erkennt an, dass der Staat alle Gemeinzwecke zu
seinen eigenen machen muss. Der Staat vermag wahrhaft
von sich zu sagen: Nihil humani a me alienum puto! An die
Bestimmung nach aussen Macht zu behaupten und Schutz
zu gewähren, nach innen das Recht zu verwirklichen,
reiht sich die Aufgabe des Staates, auch um sich selbst die not-
wendigen ökonomischen Mittel zu verschaffen, die ökonomische
Lage des Volkes im weitesten Sinne durch thatsächliches
Fördern oder Beseitigung von Störungen zu heben. Der moderne
Staat erkennt als seinen Zweck das Konglomerat des Macht-,
des Rechts- und des Kultur- und Wohlfahrtszweckes an.
Positiv offenbart hat sich diese Erkenntnis des derart kom-
binierten Staatszweckes am frühesten bei der Bildung der zu-
sammengesetzten Staaten der neueren Geschichte. Zuerst hat
die Verfassung der Nordamerikanischen Union es ausgesprochen,
dass diese zu solchem Zweckkomplex errichtet sei. Ähnlich
drückt sich die Schweizer Verfassung vom 29.5. 1874 aus. Die
Verfassung des Deutschen Reiches vom 16.4. 1871 motiviert
bekanntlich in der Einleitung den „ewigen Bund“ als geschlossen
„zum Schutze des Bundesgebietes und des innerhalb
desselben gültigen Rechtes, sowie zur Pflege der Wohl-
fahrt des deutschen Volkes.“ Die Bezeichnung des Bundes
als ewig thut eben dar, dass jene Zwecke die dauernden und
endlichen sind, und sich über die staatlichen Augenblickszwecke,
die die einzelnen Handlungen unmittelbar erreichen wollen, als
höhere Grösse hinaus heben.