814. Das königliche Haus und die Familiengewalt des Königs. 27
§ 14. Das königliche Hans und die Familiengewalt des Königs. Die Stellung
des Landesherrn zu den Mitgliedern seines Hauses erfuhr durch das Ausscheiden Bayerns
aus dem Reichsverbande und den Erwerb der Souveränetät eine gänzliche Umgestaltung.
Die Angehörigen der nunmehr königlichen Familie waren vor der Auflösung des Reiches
reichsunmittelbar gewesen, nach derselben wurden sie Untertanen des Königs. Die Folgen
dieses veränderten Standes der Glieder des Fürstenhauses waren tiefgreifende. Die recht-
lichen Grundlagen der Hausverfassung wurden völlig andere. Mit den reichsunmittelbaren
Familiengliedern, die seiner Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit entzogen waren, hatte der
Landesherr über die Hausgesetze sich vertragen müssen; der König trat den Angehörigen
seines Hauses ebenso wie den anderen Untertanen als unumschränkter Herrscher gegenüber.
Der zweite Titel der Verfassung vom 1. Mai 1808, welcher von dem königlichen Hause
handelt, traf eine Reihe wesentlicher Bestimmungen und verwies in § VI auf „ein beson-
deres Familiengesetz“, das unter dem Datum des 28. Juli 1808 im Jahre 1810
(R.-Bl. S. 777) erlassen wurde. Eine Zustimmung der Agnaten zu demselben wurde
nicht erholt, wie sie auch rechtlich in der Tat nicht notwendig war. An dieser Lage der
Sache änderte sich nichts, als die Verhandlungen, welche im Jahre 1814 über eine Durch-
sicht der Verfassung eingeleitet wurden, bereits vor Vollendung der letzteren zum Erlasse
des Familiengesetzes vom 18. Januar 1816 führten. Die Stellung des immer
noch unumschränkten Herrschers zu den Mitgliedern seines Hauses war dieselbe geblieben.
So erfolgte denn auch die königliche Sanktion des Gesetzes, ohne daß dessen Rechtsbestand
von einer Zustimmung der Agnaten abhängig gemacht worden wäre.
Eine Sonderung zwischen Staatsrecht und Hausrecht in Bezug auf die Regelung
der Verhältnisse der königlichen Familie war in der Zeit des unumschränkten Königtums
kein Bedürfnis.
Eine andere Gestaltung dieser rechtlichen Verhältnisse trat ein, als Bayern mit dem
Erlasse der Verfassungsurkunde von 1818 ein Verfassungsstaat wurde. Bei Feststellung
der Bestimmungen des zweiten Verfassungstitels „von dem Könige und der Thronfolge,
dann der Reichsverwesung“ mußte notwendig die Frage auftauchen, welche Vorschriften in
Bezug auf das königliche Haus in die Verfassungsurkunde, welche in das Familiengesetz
zu verweisen seien.
Die Verfassungsurkunde sagt in Tit. II § 8, nachdem sie vorher die rechtliche Stel-
lung des Königs, die Thronfolge und den Zeitpunkt der Volljährigkeit für die Mitglieder
des königlichen Hauses geregelt hat: „Die übrigen Verhältnisse der Mitglieder des König-
lichen Hauses richten sich nach den Bestimmungen des pragmatischen Familien-Gesetzes."
Die Verfassung meint mit diesen Worten das jeweils geltende Familiengesetz und
will die nicht verfassungsrechtlich geordneten Verhältnisse der familiengesetzlichen Regelung
überweisen. Diese letztere steht, wenn auch zeitweise eine andere Ansicht sich geltend machtet),
dem Könige allein ohne Mitwirkung der Agnaten nach wie vor zu, da keine Vorschrift der
Verfassung diese Mitwirkung als nötig erklärt.
Das Familiengesetz von 1816 wurde nach Erlaß der Verfassungsurkunde durch ein
neues Familien statut:) vom 5. August 1819 (R.-Bl. 1821 S. 5) ersetzt. Das
1) Vgl. v. Seydel, bayer. Staatsrecht 1 S. 205 ff. H. Schulze, die Hausgesetze der
regierenden deutschen Fürstenhäuser Bd. 1 S. 255 ff. · » «
2) Das Familienstatut ist gemäß Art. 5 des Einf.G. z. B. G. B. auch in privatrechtlicher
Beziehung in Kraft geblieben. Nach den Protokollen war man darüber einig, daß, wenn Haus-
verfassungen oder Landesgesetze auf das allgemeine bürgerliche Recht verweisen, es Auslegungsfrage
sei, ob sich die Verweisung auf das bisherige oder auf das jeweilige allgemeine bürgerliche Recht
beziehe. Auch darüber bestand Einverständnis, daß auch das gemeine deutsche Privatfürstenrecht
als aushilfsweise Rechtsquelle durch den Vorbehalt des Art. 57 gedeckt sei; man bezog sich hiebei
auf Entsch. d. R.G. in Zivil. S. I1I1 S. 149, XXVI S. 149.