Full text: Staatsrecht des Königreichs Bayern.

8 19. Rechtsunterschiede und Auszeichnungen der Staatsangehörigen. 47 
Dem Staatsministerium der Justiz ist über die angeordnete Vormundschaft Anzeige 
zu machen. Dasselbe handhabt die Oberaufsicht über standesherrliche Vormundschafts- 
sachen; die Obervormundschaft dagegen führt das zuständige Oberlandesgericht ). 
Den standesherrlichen Familien ist durch die Verfassungsurkunde (Beil. IV § 1) zuge- 
sichert, daß sie „die Eben bürtigkeit in dem bisher damit verbundenen Begriffe“ behalten. 
Auf privatrechtlichem Gebiete ist im übrigen nur ein wenig erhebliches Vorrecht der 
Standesherren zu erwähnen, daß sie nämlich fähig sind, Aktivlehen zu besitzen 2). 
Die Häupter der standesherrlichen Häuser sind geborene Reichsräte (Verf. Urk. 
Tit. VI 8 2). 
Die Standesherren und die Mitglieder ihrer Familien haben das Recht, in die Dienste 
deutscher und fremder mit dem Reiche im Frieden befindlicher Staaten zu treten, ohne 
hiezu einer besonderen königlichen Erlaubnis zu bedürfen. Diejenigen jedoch, welche im 
Staatsdienste stehen oder eine Staatsdienerpension aus der Staatskasse beziehen, unter- 
liegen den Bestimmungen des Staatsdienstrechtes (Verf.-Beil. IV 8 5). 
Die Standesherren und ihre Familien sind von einer Reihe allgemeiner Pflichten und 
Lasten der Staatsangehörigen befreit. 
1. Sie sind frei von der Wehrpflicht ). 
2. Die Gebäude, welche zu ihren vormals reichsständischen Besitzungen gehören, sind, 
soferne sie für immer oder zeitweise zum Wohnsitze der Eigentümer bestimmt sind, frei 
von der Quartierleistung für die bewaffnete Macht im Frieden #). Sie sind infolge dessen, 
soweit diese Befreiung reicht, auch frei von der Verpflichtung zur Naturalverpflegung der 
Truppen)). 
Durch Gesetz vom 9. Juni 1899 (G.-V.-Bl. 1899 Beil. VIII zu Nr. 28 S. 225) 
sind die den Standesherren auf Grund der Bestimmungen in den §§ 53, 55 und 56 der 
IV. Verfassungsbeilage für sich und ihre Familien bisher zustehende Freiheit von Steuern, 
Gemeindeumlagen, Zoll und Weggeld 50) — mit Wirkung vom 1. Januar 1900 an — gegen 
eine einmalige Kapitalsabfindung aus der Staatskasse aufgehoben worden. 
Eine Reihe von Vorrechten, welche den Standesherren nach der Verfassungsurkunde 
(Beil. IV §§ 6, 8, 14, 16 teilweise, 17—47, 48 teilweise, 50, 51, 53, 55, 56 dann 57, 
58, 61—64 teilweise) zukamen, sind durch die spätere Gesetzgebung beseitigt worden?). 
— 
  
1) Verf. Beil. IV § 10. Vgl. auch den S. 46 Anm. 4 cit. § 189 des N.G. vom 20. Mai 
1898. Vgl. auch §§ 1686, 1687 des B. G. B. 
2) Deklaration vom 19. März 1807, M Ziff. 2, Verf. Beil. IV § 57. 
3) Reichsges., betr. die Verostchmng zum Kriegsdienste, vom 9. November 1867 § 1 Abfs. 
1, b; gilt an Stelle von Verf. Beil. IV §8 1 
4) Reichsges. betr. die Deinlerlcinn für die bewaffnete Macht während des Friedenszu- 
standes, vom 25. Juni 1868 § 4 Abs. II Ziff. 1. Die Bestimmung in Verf. Beil. IV. F 12 ist 
hienach aufgehoben. 
5) R.G. über die Naturalleistungen für die bewaffnete Macht im Frieden vom 24. Mai 1893 §F 4. 
6) Ueber den früheren Rechtsstand vgl. v. Seydel, Staaterecht 1 S. 330, ferner G. Roh- 
mer, die rechtliche Natur des standesherrlichen Steuervorrechts, München 1893; F. Diepolder, 
Umfang der „Stenerfreiheit der Standesherren in Bayern, Augsburg 1892. v. Kahr, Gemeinde- 
ordnung 1 S. 577 ff. 
7) Ein Vorrecht, das mit der bisherigen Gerichtsverfassung nicht im Einklange stand, besaß 
das Haupt der fürstlichen Jae Thurn und Taxis. Demselben war durch kgl. Erklärung vom 
27. März 1812 (N.Bl. S. 841) die Zivilgerichtsbarkeit erster und zweiter Instanz über seine 
Dienerschaft zu entr und deren Hausgenossen, und zwar sowohl in streitigen als in nicht- 
streitigen Sachen bewilligt worden. Zugleich wurde den fürstlichen Behörden die Vornahme ge- 
wisser Akte freiwilliger Gerichtsbarkeit hinsichtlich der Mitglieder des fürstlichen Hauses überlassen. 
Nachdem das Gerichteverfassungsgesetz vom 10. November 1561 ergangen war, verneinte das Ober- 
apellationsgericht mit Rücksicht auf Art. 71 Abs. I dieses Gesetzes den Fortbestand der fürstlichen 
Gerichte. Infolge dessen erging ein Gesetz vom 29. April 1809 (G. -Bl. S. 1229), welches die 
Ansicht des genannten Gerichtshofes mißbilligte, zugleich aber die Thurn und Taxis'schen Gerichte 
für die Zukunft auf die freiwillige Gerichtsbarkeit beschränkte. Durch das Reichsgesetz vom 
20. Mai 1898 (s. o. S. 146 Anm. 14) ist die durch das Gesetz von 1869 aufrecht erhaltene freiwil-
	        
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