8 22. Rechtliche Stellung des Landtags. 51
den Staatsangehörigen. Er hat lediglich, und zwar jede seiner Kammern für sich, eine Ge-
walt über die eigenen Mitglieder.
Der Landtag kann nie einen Willen über den Staat äußern. Seine Einmischung in
die Tätigkeit der Regierungsgewalt ist durch ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen fern
gehalten. Die Kammern verkehren nur mit den Staatsministerien. Unmittelbares Benehmen
mit anderen Stellen und Behörden ist ihnen nicht gestattet 1). Ferner ist ihnen verboten,
ohne Zustimmung der Staatsregierung Aufrufe oder Erklärungen an das Volk oder einzelne
Teile desselben zu richten, Abordnungen oder Ueberbringer von Bittschriften zuzulassen 2).
Der Landtag tritt nur in bezug auf die Ausübung der Staatsgewalt durch den
König beschränkend oder anregend hinzu. Aber auch dies nicht allgemein, sondern lediglich
soweit, als Verfassung oder Gesetz ihn hiezu berufen. Die Kammern, sagt die Verfassung
(Tit. VII § 1), können nur über jene Gegenstände in Beratung treten, die in ihren Wir-
kungskreis gehören. Der Landtag hat also nirgends eine Vermutung der Zuständigkeit für
sich, sondern muß seine Zuständigkeit durch eine Rechtsvorschrift dartun können. Das Um-
gekehrte gilt für den König. Der König ist in Ausübung der Staatsgewalt unbeschränkt,
soweit nicht ein beschränkender Rechtssatz nachzuweisen ist.
Der Landtag ist keine Körperschaft mit Rechtspersönlichkeit und daher auch nicht ver-
mögensfähig. Die Ausgaben des Landtags trägt die Staatskasse (Geschäftsgangsgesetz
Art. 12.)
Die zwei Kollegien des Landtags beraten und beschließen selbständig. Nur die über-
einstimmende Willenserklärung beider stellt die Willenserklärung des Landtags dar (Verf.=
Urk. Tit. VI § 19). Ein Gegenstand, über den beide Kammern sich nicht vereinigen, kann
in derselben Tagung nicht wieder zur Beratung gebracht werden (Tit. VII 8§ 28) 5).
Dem Zwecke, die Interessen des Volkes dem Könige gegenüber zu Geltung und
Ausdruck zu bringen, dienen beide Kammern staatsrechtlich in gleicher Weise und in glei-
chem Maße, ihre Stellung ist rechtlich nicht verschieden. Es steht daher im Ermessen des
Königs, ob er bezüglich einer Angelegenheit zuerst mit der einen oder mit der anderen
Kammer in Verkehr treten will. Nur die „Anträge über die Staatsauflagen“ haben zu-
nächst bei der Kammer der Abgeordneten zu geschehen 9). Ebenso kann innerhalb des Wir-
kungskreises des Landtags jede Kammer einen Gegenstand zuerst anregen"), und jeder
Staatsangehörige kann, soweit er befugt ist, an den Landtag sich zu wenden, nach seiner
Wahl die eine oder die andere Kammer angehen 5).
Die infolge dessen entstehenden geschäftlichen Beziehungen beider Kammern werden
von deren Direktorien geordnet ).
Die Rechte des Landtags sind einerseits politische (materielle und formelle), an-
dererseits kollegiale.
Die materiellen Rechte des Landtags betreffen im wesentlichen die Gesetzgebung und
die Führung des Staatshaushaltes (Verf.-Urk. Tit. VII § 2—18) und sind am betreffen-
den Orte näher darzulegen. Die Regierungstätigkeit wird im übrigen, soweit nicht das
Steuerbewilligungsrecht des Landtages beschränkend eingreift, ausschließlich vom Willen des
Königs bestimmt. Dem Landtage kommt ein staatsrechtlicher Einfluß auf dieselben nicht zu.
Bayern ist, wie bei der Lehre von der Ministerverantwortlichkeit noch näher darzulegen ist,
zwar Verfassungsstaat, aber kein parlamentarisch regierter Staat'). Daß aus dem
1) Geschäftsgangs-Ges. Art. 33 Abs. I u. II.
2) A. a. O. Art. 37. 3) Verf. Urk. Tit. IV F 18.
4) Verf. Urk. Tit. VII § 20 Abs. II.
5) Verf. Urk. Tit. VII & 21, Geschäftsgangs-Ges. Abschn. II Ziff. 2.
6) Geschäftsgangs-Ges. Art. 38.
7) v. Seydel, konstitutionelle und parlamentarische Regierung, in den staatsrechtlichen
Abhandlungen 1893 S. 121 ff.
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