8 22. Rechtliche Stellung des Landtags. 55
sie ihren diesfalls an den König zu erstattenden Antrag der anderen Kammer mit, welcher,
wenn diese demselben beistimmt, in einer gemeinsamen Vorstellung dem Könige über-
geben wird“.
Diese Bestimmungen gehören zu den unstrittensten des bayerischen Verfassungs-
rechtes.
Was zunächst den Begriff der konstitutionellen Rechte anlangt, so hat die Staats-
regierung, dabei von der Rechtsprechung des Staatsrats unterstützt, seit dem Jahre 1819
ununterbrochen die Meinung vertreten, daß konstitutionelle Rechte nur solche seien, welche
unmittelbar in der Verfassung oder einem Verfassungsgesetze begründet sind. Diese An-
sicht, der sich auch die Kammer der Reichsräte seit der Landtagsversammlung 1875/76
rückhaltslos angeschlossen hat, ist nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Verfassungs=
bestimmungen zweifellos richtig.
Das Beschwerderecht greift ferner nur gegenüber reinen Verwaltungsakten Platz und
auch da lediglich dann, wenn der offenstehende Verwaltungsbeschwerdeweg erschöpft ist.
Unbedingt ausgeschlossen ist eine Aenderung des Geschehenen und daher eine Verfassungs-
beschwerde da, wo ein behördlicher Ausspruch mit Rechtskraft ausgestattet ist, also die
Natur des Richterspruchs an sich trägt. Dabei kommt es nicht auf die Stellung der Be-
hörde an, welche den Ausspruch erlassen hat, sondern lediglich auf die rechtliche Natur des
Ausspruches selbst. Eine Verfassungsbeschwerde ist ferner da nicht zugelassen, wo der
Rechtsweg offen steht. "
Beschwerdeberechtigt ist nur derjenige, welcher die behauptete Rechtsverletzung selbst
erfahren hat 1) oder gesetzlicher Vertreter des Verletzten ist. Das Beschwerderecht kommt
nur bayerischen Staatsangchörigen?) zu. Es ist nicht nur den Gemeinden, sondern allen
juristischen Personen zuzugestehen.
Die Erhebung von Verfassungsbeschwerden beim Landtage ist ein Recht der Staats-
angehörigen. Die Kammern sind daher nicht bloß berechtigt, sondern auch verpflichtet,
solche Beschwerden zu würdigen und sie, wenn sie formell zulässig und formell begründet
befunden werden, materiell beschlußmäßig zu erledigen.
Haben sich beide Kammern dahin geeinigt, eine Beschwerde wegen Verletzung konsti-
tutioneller Rechte begründet zu finden, so übergeben sie dieselbe mit gemeinsamem Antrage
dem Könige. Das weitere Verfahren ist dasselbe wie bei jenen Verfassungsbeschwerden,
welche die Kammern aus eigenem Antricbe an die Krone bringen. Hievon soll nunmehr
gehandelt werden.
Die Verfassungsurkunde (Tit. X § 5) bestimmt: „Die Stände haben das Recht,
Beschwerden über die durch die königlichen Staatsministerien oder andere Staatsbehörden
geschehene Verletzung der Verfassung in einem gemeinsamen Antrag an den König zu
bringen“.
Die Erhebung einer solchen Beschwerde setzt einen in einer Kammer gestellten An-
trag sowie übereinstimmende Beschlüsse beider Kammern voraus.
Der sachliche Umkreis, innerhalb dessen sich das Beschwerderecht bewegt, ist mit Be-
stimmtheit bezeichnet. Die Beschwerde kann nur wegen Verletzung der Verfassung selbst
1) Val. Verh. d. K. d. Abg. 1895·,96 St. B. Bd. VII. N. 231 (Versammlungsreferent als
Beschwerdeführer).
2) Diese Auffassung wurde von der k. Staatsregierung aus Anlaß der Beschwerde C. Hund
(St. B. d. Abg. K. 1895·96 Bd. VII S. 12 ff.) ebenfalls vertreten und die Kammer der Abg.
pflichtet ihr in dem Sinne bei, daß das Beschwerderecht nur bayer. Staatsangehörigen, nicht allen
Reichsangehörigen zustehe. Vgl. über die Behandlung der VWerfassungebeschverden v. Seydel,
Staatsrecht 1 S. 386—398 und hinsichtlich der sonderbaren Behandlung der Beschwerde Friedrich
Schneider (St. B. d. N. K. 1897/98 Md. IX S. 827 ff.) v. Seydel in N. 38 Abendblatt der All-
gemeinen Zeitung 1898.