Die süddeutschen Staaten. 163
deutlichen Worten gesagt, die bayerische Regierung keine Stütze gehabt gegen-
über der Fortschrittspartei, sie habe sich von der Fortschrittspartei wider Wil-
len weiter und weiter vorwärts drängen lassen müssen; das werde nun ein
Ende haben. Das Schulgesetz insbesondere würde als eine Landescalamität
zu betrachten gewesen sein, wenn es durchgegangen wäre. Für das Schulgesetz,
ich bemerke das nebenbei, hat Se. Durchlaucht in der Reichsrathskammer
seiner Zeit sehr eifrig gesprochen. In der jüngsten Sitzung der Kammer der
Reichsräthe hat Se. Durchlaucht von der Partei, von der er damals seine
Stütze erwartete, erklärt, daß er allein das Circular des Hrn. v. Hörmann
gekannt und gebilligt habe, welches, wie ihm scheine, eine zwar drastische, aber
wahre Charakteristik der patriotischen Parlei enthalte. Das war am Freitag,
wenn ich nicht irre, und Tags darauf ist Se. Durchlaucht in dieses Haus
gekommen und hat, wie sch nochmals constatire, durch seine Erklärung die
entgegengesetzte Seite dieses Hauses zum lauten Beifall fortgerissen. M. H.,
ich sage nun: das Maß der Widersprüche, das Maß der Schwankungen ist
nach der Meinung des Landes voll; ich selbst bin der Meinung, es ist sogar
schon übergelaufen. Fürst Hohenlohe: Ich constatire, daß der Hr. Referent
sein Mißtrauensvotum modificirt hat; er nennt es nicht mehr „Mißtrauens-
votum“", sondern, wenn ich recht verstanden habe, ein „Nichtvertrauensvotum“.
Ehe ich auf die Rechtfertigung derjenigen meiner Worte und Aeußerungen
eingehe, welche nach dem eben gehörten Vortrag zum Mißtrauen gegen mich
allein Veranlassung gegeben haben, möchte ich auch einen Blick auf die Ge-
sinnung meiner Gegner werfen. Der Hr. Neferent hat am Anfang der De-
batte gesagt, „Europa blicke auf diesen Saal“. Es ist richtig, die Entschei-
dung, welche Sie hier treffen werden, wird von weittragender Bedeutung sein,
nicht deßhalb, weil die Ereignisse unseres Königreichs für die Welt von so
großer Wichtigkeit wären, sondern deßhalb, weil der Kampf, der hier seit
einer Woche entbrannt ist, nur einen Theil des großen Kampfes bildet, der
zur Zeit die Welt bewegt. Es ist der Streit der beiden Anschauungen, deren
eine im modernen Rechtsstaate und in der ganzen freiheitlichen Entwicklung
der Gegenwart etwas zu Erhaltendes und zu Pflegendes erblickt, und deren
andere diesen modernen Staat und die ganze moderne Entwicklung perhorres-
cirt und das Heil der Menschheit in einer Neugestaltung des Staates auf
anderer Grundlage sucht, einer Neugestaltung, welche durch die Kirche und
zwar durch eine im absolutistischen Sinne reconstruirte Kirche vervollständigt
und getragen würde. In diesem Kampfe eine Aenderung der Ueberzeugungen
durch Worte herbeiführen zu wollen, wäre die vergeblichste aller Bemühungen.
Meine Auffassung wird auch nicht beirrt durch die Versicherungen Jener,
welche sich frei wissen von Absichten, wie ich sie eben bezeichnet, auch nicht durch
die klare Rede eines sehr geehrten Mitgliedes, welches die Versöhnung des
Liberalismus mit der Kirche zur Aufgabe seines Lebens macht und welches
wohl auch demselben Schicksale entgegengehen wird, welches alle diejenigen ge-
troffen hat, die dieselben Bestrebungen hatten. Denn ich kann mich des Gedankens
nicht entschlagen, daß ein Theil der Gegner nur deßhalb mit den Feinden des
modernen Staates gemeinsame Sache macht, weil es diesen gelungen ist, für
ihre Tendenzen jene erregte Stimmung zu benützen, in welche die Gemüther
durch die Ereignisse des Jahres 1866 gebracht worden sind. Diese Erregtheit
beruht aber einestheils auf der Furcht, welche der gegenwärtige Zustand
Deutschlands einflößt, nachdem das Band zerrissen ist, welches die deutschen
Stämme bis 1866 zusammengehalten hat. Sie beruht ferner auf der Furcht
vor den Bestrebungen derjenigen, welche den nationalen Gedanken zum end-
lichen Ausdruck zu führen suchen, ohne den gegebenen Thatsachen und den
Gefühlen des Volks allseitig Rechnung zu tragen. Ich habe mich seit 3 Jahren
redlich bemüht, Bayern aus diesem Zustande der Unsicherheit herauszuführen;
ich habe mich bemüht, schon jetzt und gerade vor jener Zeit, zu welcher eine
Kündigung des Zollvereins eintreten kann, zu vertragsmäßig geordneten Zu-
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