Metadata: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

& 95. Der Okkupationsakt. 313 
  
sierten Staaten unter sich zu regeln, verzichtete sie auf die Schaffung 
von Normen über die Legitimität des Vorgehens bei Okkupationen; es wird 
insbesondere nicht gefordert, daß der okkupierende Staat auf Grund eines 
rechtlich maßgebenden Willensaktes der Häuptlinge des betreffenden Stammes 
das Gebiet in Besitz genommen habe!). Der rechtlichen Regelung dieser 
Materie hätten sich jedenfalls Schwierigkeiten entgegengestellt, denn das 
Wesen der Okkupation als einseitigen Willensakts des Erwerbers ist juristisch 
nicht vereinbar mit gleichzeitigen bezw. voraufgehenden Willensakten des 
Häuptlings betreffend die Übertragung von Hoheitsrechten. In den Verhand- 
lungen der Kongokonferenz kam jedoch die Anerkennung der Rechte der 
Eingeborenen mehrfach zum Ausdruck und wurde der Abschluß von Verträgen 
mit den Häuptlingen der Stämme geradezu empfohlen. Bezüglich des Vor- 
ganges bei Okkupationen hat sich ein Verfahren ausgebildet, welches die 
Vertragsform zu Grunde legt und die Okkupation auf Grund von Zessions- 
verträgen (Unterwerfungsverträgen) der Häuptlinge vollzieht. Die Anwendung 
dieser Rechtsform setzt zweifellos Anerkennung einer wenigstens beschränkten 
völkerrechtlichen Persönlichkeit barbarischer Völker voraus; sie schließt aber 
ebenso sicher Okkupation im strengen Sinne des Wortes aus. Zessionen be- 
ruhen dagegen auf Willenseinigung des Erwerbers und des anderen Teils. 
Allein die Unfähigkeit wilder und barbarischer Völker, einen politisch bedeut- 
samen Willen in formell wirksamen Rechtsakten zu bekunden, verbietet, derlei 
Zessionsverträgen eine ernstliche Bedeutung einzuräumen. Sie entsprechen 
nicht den begrifflichen Erfordernissen einer rechtlich wirksamen Willens- 
einigung. Übrigens ist seitens der zivilisierten Völker wilden und barbarischen 
Stämmen nicht einmal beschränkte völkerrechtliche Persönlichkeit eingeräumt 2). 
Auch in der Abschließung solcher Verträge bekundet sich doch zunächst nur 
der Wille, die Selbständigkeit wilder Völker anzuerkennen und die Okkupation 
nicht lediglich auf einen Akt gewaltsamer Besitznahme zu stellen; vorwiegend 
dürfte aber die (schon oben S. 303 hervorgehobene) Absicht maßgebend sein, 
Rivalen auf dem Gebiete kolonisatorischer Unternehmungen zuvorzukommen. 
Auch politische Klugheit drängt zu einer friedlichen Auseinandersetzung?). 
$ 95. 3. Der Okkupationsakt. Die Okkupation ist ein nicht bloß für 
den Okkupanten in seinen: Verhältnisse zu dem okkupierten Gebiete, sondern 
  
1) Ein auf Anerkennung eines solchen Vorgangs gerichteter Antrag des Bevollmäch- 
tigten der Nordamerikanischen Union in den Verhandlungen der Kongokonferenz wurde ab- 
gelehnt. Der Antrag ging von dem freien Dispositionsrechte der Eingeborenen über ihren 
heimatlichen Boden aus und forderte für die Okkupation die Einwilligung der Eingeborenen 
in allen Fällen, in denen diese nicht einen Angriffsakt provoziert hätten. 
s) In der neueren Theorie sucht man die rechtliche Bedeutung der hier in Frage stehen- 
den Verträge nachzuweisen. So Heimburger a. a. 0. 71; v. Stengel a. a. O. 481f.; G. 
Meyera.a. O0. 29ff.; Salomon |. c. 232 sg. Man gelangt auf diesem Wege zur Konstruk- 
tion einer qualifizierten Okkupation; das qualifizierende Moment ist aber dem Vertragsrecht 
entnommen; es läßt sich daber mit einem einseitigen Willensakte, wie die Okkupation, nicht 
in organischen Zusammenhang bringen. Vgl. gegen obige Versuche Adam a. a. O. 63 ff. 
3) Vgl. v. Holtzendorff, HH II S. 257; v. Martitz, R XIX p. 374; Adam a.a.0. 
S. 67 ff.
	        
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