156 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
die neuen Provinzen in Polen und Franken endlich dem Generaldirectorium
unterstellt wurden, zeigte sich die einst in einfacheren Verhältnissen so
schlagfertige Centralbehörde als völlig unzulänglich; jedes Departement
ging selbständig seines Wegs, es fehlte die Einheit der Leitung. Noch
immer war dies Beamtenthum der Bureaukratie der deutschen Nachbar-
staaten weit überlegen, thätig, voll patriotischen Stolzes, hochgebildet, ob-
gleich da und dort einzelne Präsidenten mit dem Bildungshasse der Gene-
rale zu wetteifern strebten. Aber die veraltete, zwischen dem Provinzial-
und dem Realsystem mitteninne stehende Organisation der Behörden
bewirkte, daß Niemand in Wahrheit Minister war und den Gang der
Verwaltung übersah. Jedes einfache Geschäft führte zu peinlichen Strei-
tigkeiten über die Competenz; die Vermehrung der Ministerstellen ver-
stärkte nur das Uebel. In den alten Beamtenfamilien, die nun seit
vielen Jahrzehnten dem Staatsdienste angehörten, vererbte sich zwar ein
lebendiges Gefühl der Standesehre vom Vater auf den Sohn, aber auch
der Dünkel des grünen Tisches; Neulinge, welche aus der naturfrischen
Thätigkeit des Landbaus in diese Welt des Bureaus hinübertraten, wie der
Freiherr vom Stein, bemerkten mit Unwillen, wie das Actenschreiben hier
zum Selbstzweck zu werden drohte. Eine formenselige Papierthätigkeit
nahm überhand und konnte durch die salbungsvollen Ermahnungen der
königlichen Cabinetordres nicht überwunden werden, weil sich der staats-
männische Kopf nicht fand, der dem Beamtenthum neue positive Aufgaben
gestellt hätte. Und dazu wieder das leidige Bleigewicht der polnischen
Provinzen: es blieb doch ein unerträglicher Zustand, daß die regierende
Klasse aus den weiten Slavenlanden fast gar keinen jungen Nachwuchs
erhielt. Die Spottrede der Gegner, dies Preußen sei ein künstlicher Staat,
schien jetzt doch Recht zu behalten.
Bald nach seiner Thronbesteigung sprach der König gegen den Finanz-
minister Struensee seine Mißbilligung aus über das unhaltbare Prohibitiv=
system, das beständig übertreten werde. Erst sieben Jahre nachher gelang
ihm, die erste Bresche in diese alte Ordnung zu schlagen und durch
Struensee's Nachfolger Stein die Binnenzölle größtentheils aufzuheben.
Noch galt die Einrichtung gleichmäßig geordneter Grenzzölle überall in
der Welt als ein vermessenes Wagniß. Wie hoffnungslos sprach Necker
in seinem Rechenschaftsberichte von 1781 über die Frage, ob es wohl
möglich sei die constitution barbare der Provinzialzölle zu beseitigen. Erst
die Revolution begründete die Zolleinheit Frankreichs. Als man sich jetzt
in Preußen an die Aufhebung der Binnenzölle heranwagte, erfuhr man
sofort, daß diese Reform eine halbe Maßregel blieb. Denn noch bestand
die Accise mit ihren 67 verschiedenen Tarifen; vergeblich mahnte eine
Cabinetsordre des Königs, in dies Durcheinander endlich Klarheit zu
bringen. Noch bestand der Gewerbezwang, der die Städte von dem flachen
Lande schied; nur in der Grafschaft Mark hatte Stein schon gewagt diese