70 I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
bedingungen, es fehlte vor Allem der Wille der Nation. Ueber das alte
Wahngebilde der deutschen Freiheit kamen auch die reichspatriotischen Ver-
theidiger des Fürstenbundes nicht hinaus. Die josephinische Politik, so
versichert Hertzberg beweglich, drohte die Kräfte Deutschlands zu einer
Masse zusammenzuballen, das freie Europa einer Universalmonarchie zu
unterwerfen; und in Dohm's Augen erscheint es als eine preiswürdige
Aufgabe des neuen Bundes, die Westgrenzen Oesterreichs offen zu halten,
damit Frankreich jederzeit zu Gunsten deutscher Freiheit einschreiten könne.
Das Volk empfand dunkel, daß das Bestehende nicht werth sei zu be-
stehen; in Schubart's Schriften werden die kleinen schwäbischen Territorien
oft geschildert als ein offener Taubenschlag, der dem fürstlichen Marder
dicht vor den Klauen liege. Doch alle solche Einfälle und Ahnungen
wurden darniedergehalten von einem Gefühle hoffnungsloser Entsagung,
das die kräftigere Gegenwart kaum noch versteht; den Deutschen war zu
Muthe, als ob eine unerforschlich geheimnißvolle Schicksalsmacht dies
Volk verdammt hätte, für alle Ewigkeit in einem widersinnigen Zustande
zu verharren, der jedes Recht des Daseins längst verloren. Als der
große König schied, da hinterließ er zwar ein Geschlecht, das froher und
stolzer in die Welt blickte denn die Bäter, und gewaltig hatte sich die
Macht des Staates gehoben, der vielleicht dereinst einen neuen Tag über
Deutschland heraufführen konnte. Doch die Frage: durch welche Mittel
und Wege eine lebensfähige Ordnung für das deutsche Gemeinwesen zu
schaffen sei? — erschien bei Friedrich's Tode fast noch ebenso räthselhaft
wie bei seiner Thronbesteigung; ja sie wurde von der ungeheuren Mehr-
zahl der Deutschen nicht einmal ernstlich aufgeworfen. Noch bestanden
kaum die ersten Anfänge einer Parteibildung in der Nation; nur ein
Wunder des Himmels schien der rathlosen Hilfe bringen zu können. Die
entsetzliche Verschrobenheit aller Verhältnisse erhellt mit unheimlicher Klar-
heit aus der einen Thatsache, daß der Held, der einst mit seinem guten
Schwerte die Nichtigkeit der Institutionen des Reichs erwiesen hatte, nun
damit enden mußte, diese entgeisteten Formen selber gegen das Reichs-
oberhaupt zu vertheidigen.
Wenn Friedrich die Entscheidung der deutschen Verfassungsfrage nur
vorbereiten, nicht vollenden konnte, so hat er dagegen auf die innere
Politik der deutschen Territorien tief und nachhaltig eingewirkt und unser
Volk zu einer edleren Staatsgesinnung, einer würdigeren Ansicht vom
Wesen des Staates erzogen. Er stand am Ende der großen Tage der
unbeschränkten Monarchie und erschien gleichwohl den Zeitgenossen als der
Vertreter eines neuen Staatsgedankens, des aufgeklärten Despotismus.
Nur der Genius besitzt die Kraft der Propaganda, vermag die wider-
strebende Welt um das Banner neuer Gedanken zu schaaren. Wie die
Ideen der Revolution erst durch Napoleon wirksam verbreitet wurden, so
ist auch jene ernste Auffassung der Pflichten des Königthums, die seit dem