208 III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
Rührigkeit alle anderen Zweige der katholischen Kirche. Er verdankte
diesen Vorzug zum guten Theile der beständigen Berührung mit der
protestantischen Welt; denn in Oesterreich, wo diese Berührung fehlte, war
auch von wissenschaftlichem Leben wenig zu spüren. Seit dem Anfang
der zwanziger Jahre tauchte eine ganze Reihe junger theologischer Talente
auf, Hirscher, Drey, Staudenmaier, nachher Möhler und der jüngere
Windischmann, ein geistlicher Kreis, der bald den Namen der Tübinger
Schule erhielt.
Keiner dieser Gelehrten war irgend fanatisch, Hirscher sogar eine
weiche, friedfertige Natur. Aber sie alle standen dem Protestantismus
doch ganz anders gegenüber als jene läßlich duldsamen, weltmännisch
aufgeklärten Kleriker der guten alten Zeit, die über das Portal der
Graudenzer katholischen Kirche die Inschrift gesetzt hatten: „Wir glauben
all' an einen Gott, und die Liebe vereinigt uns alle.“ Sie alle fühlten
sich als Vorkämpfer des alleinseligmachenden Glaubens wider die Irrlehren
der Ketzerei, und obgleich die meisten von ihnen noch vor der Gesellschaft
Jesu zurückschraken, so mußte doch eine Schule, welche jedes Zugeständniß
an das evangelische Christenthum grundsätzlich verwarf, kraft der gewaltigen
Consequenz der römischen Kirche, zuletzt unaufhaltsam in den römischen
Papismus ausmünden. Wir Rückschauenden können nicht bezweifeln,
was die Zeitgenossen freilich nicht zu ahnen vermochten, daß der jesuitische
Katholicismus unserer Tage in gerader Linie von jenen wohlmeinenden
und gemäßigten schwäbischen Theologen abstammt. Der geistvollste unter
ihnen, Johann Adam Möhler, ein tief religiöser, edler Mann, der aus
schweren Seelenkämpfen sich ganz in die Welt der Ideale geflüchtet hatte,
trat schon in seiner ersten größeren Schrift über „die Einheit in der
Kirche“ dem Protestantismus als Angreifer entgegen. Mit Hilfe jener
kunstreichen Geschichtsconstruktionen, die er den protestantischen Philosophen
abgelernt, suchte er zu beweisen, daß die Tradition eine Macht der Freiheit,
die heilige Schrift selber erst aus ihr geschöpft und der Primat des
Papstes schon in den Anfängen des Christenthums im Keime vorhanden
gewesen sei; sein Schluß war, die unsichtbare Kirche der Protestanten
setze den Tod an die Stelle des Lebens, ihre Grundsätze liefen „allem
Gemeinleben und in ihrer Consequenz nothwendig allem Christenthum
zuwider“. So mächtig war bereits der confessionelle Zug der Zeit, daß
selbst die rationalistische, den Eiferen längst verdächtige Theologenschule
der Hermesianer sich ihm nicht ganz entziehen konnte. Wenn Hermes
das katholische Dogma durch die Formeln der Kantischen Philosophie ver-
nünftig zu begründen suchte, so blieb er doch fest auf dem Boden seiner
römischen Kirche, und nichts lag ihm ferner als die Absicht, mit Hilfe des
großen Königsberger Ketzers eine Brücke nach dem Protestantismus hin-
über zu schlagen. Sein Schüler Gratz in Bonn, der sich sogar einige
Hypothesen Lessing's zur Bibelkritik angeeignet hatte, begründete doch eine