Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

208 III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes. 
Rührigkeit alle anderen Zweige der katholischen Kirche. Er verdankte 
diesen Vorzug zum guten Theile der beständigen Berührung mit der 
protestantischen Welt; denn in Oesterreich, wo diese Berührung fehlte, war 
auch von wissenschaftlichem Leben wenig zu spüren. Seit dem Anfang 
der zwanziger Jahre tauchte eine ganze Reihe junger theologischer Talente 
auf, Hirscher, Drey, Staudenmaier, nachher Möhler und der jüngere 
Windischmann, ein geistlicher Kreis, der bald den Namen der Tübinger 
Schule erhielt. 
Keiner dieser Gelehrten war irgend fanatisch, Hirscher sogar eine 
weiche, friedfertige Natur. Aber sie alle standen dem Protestantismus 
doch ganz anders gegenüber als jene läßlich duldsamen, weltmännisch 
aufgeklärten Kleriker der guten alten Zeit, die über das Portal der 
Graudenzer katholischen Kirche die Inschrift gesetzt hatten: „Wir glauben 
all' an einen Gott, und die Liebe vereinigt uns alle.“ Sie alle fühlten 
sich als Vorkämpfer des alleinseligmachenden Glaubens wider die Irrlehren 
der Ketzerei, und obgleich die meisten von ihnen noch vor der Gesellschaft 
Jesu zurückschraken, so mußte doch eine Schule, welche jedes Zugeständniß 
an das evangelische Christenthum grundsätzlich verwarf, kraft der gewaltigen 
Consequenz der römischen Kirche, zuletzt unaufhaltsam in den römischen 
Papismus ausmünden. Wir Rückschauenden können nicht bezweifeln, 
was die Zeitgenossen freilich nicht zu ahnen vermochten, daß der jesuitische 
Katholicismus unserer Tage in gerader Linie von jenen wohlmeinenden 
und gemäßigten schwäbischen Theologen abstammt. Der geistvollste unter 
ihnen, Johann Adam Möhler, ein tief religiöser, edler Mann, der aus 
schweren Seelenkämpfen sich ganz in die Welt der Ideale geflüchtet hatte, 
trat schon in seiner ersten größeren Schrift über „die Einheit in der 
Kirche“ dem Protestantismus als Angreifer entgegen. Mit Hilfe jener 
kunstreichen Geschichtsconstruktionen, die er den protestantischen Philosophen 
abgelernt, suchte er zu beweisen, daß die Tradition eine Macht der Freiheit, 
die heilige Schrift selber erst aus ihr geschöpft und der Primat des 
Papstes schon in den Anfängen des Christenthums im Keime vorhanden 
gewesen sei; sein Schluß war, die unsichtbare Kirche der Protestanten 
setze den Tod an die Stelle des Lebens, ihre Grundsätze liefen „allem 
Gemeinleben und in ihrer Consequenz nothwendig allem Christenthum 
zuwider“. So mächtig war bereits der confessionelle Zug der Zeit, daß 
selbst die rationalistische, den Eiferen längst verdächtige Theologenschule 
der Hermesianer sich ihm nicht ganz entziehen konnte. Wenn Hermes 
das katholische Dogma durch die Formeln der Kantischen Philosophie ver- 
nünftig zu begründen suchte, so blieb er doch fest auf dem Boden seiner 
römischen Kirche, und nichts lag ihm ferner als die Absicht, mit Hilfe des 
großen Königsberger Ketzers eine Brücke nach dem Protestantismus hin- 
über zu schlagen. Sein Schüler Gratz in Bonn, der sich sogar einige 
Hypothesen Lessing's zur Bibelkritik angeeignet hatte, begründete doch eine
	        
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