Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Erstarrung der norddeutschen Kleinstaaten. 187 
ihrem alten Gebiete, ihren angestammten Fürstenhäusern und ihrem pro— 
testantischen Sonderleben auch die Verfassungsformen des alten Jahr— 
hunderts: Kurhessen seinen höfischen Absolutismus, Sachsen, Hannover, 
Mecklenburg ihre ständische Vielherrschaft, die Hansestädte ihre bürgerliche 
Oligarchie. In Sachsen und Mecklenburg war die alte Ordnung inmitten 
der Stürme einer ungeheuern Zeit unwandelbar geblieben, in Hessen, in 
den welfischen Gebieten und den freien Städten wurde sie nach der kurzen 
Episode einer verhaßten Zwischenherrschaft fast unverändert wiederher— 
gestellt. Aengstlich sperrten sich alle diese Territorien gegen jede Neuerung 
ab. Auf Hannover und Holstein lastete zudem noch die Fremdherrschaft, 
die selbst wo sie willig ertragen wird, überall lähmend wirkt, und den 
Hansestädten erschwerten die weltbürgerlichen Interessen ihres Freihandels 
die Theilnahme an der nationalen Politik. In Oesterreich und in der 
trägen Masse dieser kleinen norddeutschen Gebiete lagen die hemmenden 
Kräfte unseres Staatslebens, in Preußen und den süddeutschen Territorien 
die Kräfte der Bewegung, obschon die liberale Durchschnittsmeinung jener 
Tage alle Schuld des deutschen Elends kurzerhand den beiden Großmächten 
aufzubürden liebte. Erst durch die Nachwirkungen der Julirevolution sind 
diese Gegensätze etwas gemildert, einige Kleinstaaten Norddeutschlands zum 
Repräsentativsystem hinübergedrängt worden. 
In dem wunderlichen Wirrsal der deutschen Bundespolitik konnte 
aber die Unvernunft zuweilen Segen bringen, da die Vernunft unmöglich 
war. Die verknöcherten Verfassungen des Nordens bewahrten Deutsch— 
land in den zwanziger Jahren vor der Gefahr der Trias, des Sonder— 
bundes der Mittelstaaten, denn zwischen der bairisch-württembergischen 
Bureaukratie und dem altständischen Regimente Sachsens oder Hannovers 
war jede Verständigung undenkbar. Sie bewahrten aber auch die preu— 
ßische Politik vor dem verderblichen Plane der Mainlinie, der in Berlin 
jederzeit mächtige Fürsprecher fand; denn die adlichen Landtage des Nor- 
dens fürchteten in Preußens starker Krone den geborenen Feind ihrer 
ständischen Libertät und vermieden mißtrauisch jede Annäherung an den 
norddeutschen Großstaat, grade weil sie wußten, daß sie seinem natürlichen 
Machtgebiete angehörten. Die Regierungen des Südens fühlten sich nicht 
so unmittelbar bedroht, sie vermochten die Leistungen der preußischen Ver- 
waltung unbefangener zu würdigen, und da die Oberländer vor den nach- 
tragenden Norddeutschen die glückliche Gabe voraus haben, alten Groll 
gründlich zu vergessen, so konnte es geschehen, daß die Kernlande des 
Rheinbundes sich zu dem Berliner Hofe bald freundlicher stellten als seine 
nächsten Nachbarn und eine Vereinbarung zwischen Preußen und den 
süddeutschen Staaten den Grund legte für die wirthschaftliche Ein- 
heit der Nation. — 
Von keinem seiner kleinen Nachbarn durfte Preußen zur Zeit weniger 
Vertrauen erwarten als von dem Königreich Sachsen, dem alten unglück-
	        
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