Gegensätze des deutschen Lebens. 5
auf dem Gebiete der Theorie entstanden der liberalen Lehre einflußreiche
Gegner. Unklare Erinnerungen aus Haller und den Werken der histo—
rischen Rechtsschule lieferten dem jungen Fürsten Ludwig zu Solms—
Lich den Stoff zu seinem Büchlein „Deutschland und die Repräsentativ—
verfassungen“ (1838), einer Schrift, die in der vornehmen Welt, zumal
am Berliner Hofe lebhafte Bewunderung erregte, von dem alten Hans
Gagern aber mit dem treffenden Vorwurfe abgefertigt wurde: „Es kom-
men uns, vorzüglich aus dem Norden, allerlei sophistische mystische Be-
hauptungen zu, die wie die Nebel von den Sonnenstrahlen des natürlichen
Verstandes zerstreut werden.“ Deutlich war in den verschwommenen Sätzen
nur das eine, daß der fürstliche Verfasser die ganze neue Geschichte des
deutschen Südens für eine große Verirrung ansah und ihr die preußi-
schen Provinzialstände als lichtes Gegenbild entgegenhielt. Ebenso un-
friedlich gestalteten sich die wirtschaftlichen Zustände. Kaum begann unter
dem Schutze des Zollvereins die junge Großindustrie aufzublühen, so
zeigte sich auch schon die finstere Schattenseite der neuen Verhältnisse;
weithin durch die lange Kette der mitteldeutschen Hungergebirge erklang
der Jammerruf der Arbeiter; die grimme Not stimmte die Massen emp-
fänglich für kommunistische Träume.
Einc schwere soziale Erschütterung schien im Anzuge, und sie drohte
um so verheerender zu wirken, da auch das kirchliche Leben tief zerklüftet
war. Derweil das römische Priestertum seit dem Kölnischen Bischofs-
streite seine Macht täglich wachsen sah und der Glaubensernst der wieder-
erwachten evangelischen Frömmigkeit sich in fruchtbaren Liebeswerken be-
tätigte, verhöhnten die Kritiker der junghegelschen Schule jede Form des
Christentums; der Bodensatz der alten Aufklärung wirbelte wieder empor,
weite Kreise der Gebildeten vermochten noch gar nicht zu begreifen, daß
es mit der Religion wieder Ernst ward. Als ein Zeichen der Zeit er-
schien am hundertsten Gedenktage der Thronbesteigung die Jubelschrift
„Friedrich der Große und seine Widersacher“ von dem jungen C. F. Köppen,
ein geistreiches Buch, das die erhabene Sittlichkeit des schaffenden und
wissenden Heros wider die moralischen Splitterrichter siegreich verteidigte,
aber auch die katholischen Wölfe im Schafskleide, die protestantischen Schafe
im Wolfskleide, die aus allen Pfützen quakenden glaubensseligen Frösche mit
ätzendem Hohne überschüttete. Die reiche Gedankenarbeit dreier Genera-
tionen, welche die Herrschaft der Ideen Voltaires in Deutschland gebrochen
hatte, schien für diese radikale Jugend gar nicht vorhanden zu sein. Und
welche Gegensätze endlich in der Literatur. Neben der strengen Forschung
der historischen und der Naturwissenschaft trieb eine freche und flache Tages-
schriftstellerei ihr Wesen, durch und durch tendenziös, in Vers und Prosa
alle überlieferte Ordnung verspottend, immer nur auf den flüchtigen Er-
folg des Augenblicks bedacht.
Deutschland war in einem Zustande bedenklicher Gärung, und einer