380 V. 5. Realismus in Kunst und Wissenschaft.
innerte, dachte er zu überwinden durch den Atta Troll, einen Sommer-
nachtstraum, der phantastisch sein sollte, zwecklos wie die Liebe, wie das
Leben. Er überwand sie nicht, obwohl er zu ihrer Verhöhnung das glück-
liche Schlagwort erfand „kein Genie, doch ein Charakter“; denn sein
eigenes Gemüt empfand längst nicht mehr frei genug, um sich unbefangen
im Spiele des Humors zu ergehen. Der Atta Troll wurde keineswegs,
wie der Dichter meinte, das letzte freie Waldlied der Romantik, sondern
gerade durch den bewußten Kampf wider die Tendenz selbst ein Tendenz-
gedicht; ihm fehlte nicht nur, wie allen größeren Versuchen Heines, die
geschlossene künstlerische Komposition, sondern auch die Einheit der Stim-
mung. An dem dünnen Faden einer albernen, nicht einmal drolligen
Bärengeschichte war allerhand feuilletonistischer Kleinkram aufgereiht:
Landschaftsschilderungen aus den Pyrenäen, Zauberbilder von der Hexen-
küche und der wilden Jagd, vornehmlich aber politische und literarische
Bosheiten jeder Art. Reich an schönen Bildern und bestechenden über-
mütigen Witzen wirkte das Ganze doch nicht heiter, nicht befreiend.
Der Waldesduft der unschuldigen Märchenwelt vertrug sich nicht mit dem
Schwefeläther journalistischer Polemik; die vierfüßigen Trochäen, die nur
durch das heroische Pathos spanischer Grandezza Kraft und Feuer ge-
winnen können, klangen hier, wo sie einem komischen Stoffe aufgezwängt
wurden, eintönig, einschläfernd, wie das Geplätscher aus dem Brunnen-
rohre.
Weit freier und ehrlicher, aber auch noch schmutziger und frecher gab
sich Heine in dem Wintermärchen: Deutschland (1844); er schrieb es nieder,
nachdem er, völlig unbelästigt durch die Behörden, sein Vaterland noch
einmal besucht hatte. Hier war alles Tendenzz hier zeigte sich, daß der
Atta Troll durchaus nicht die prosaische Herabwürdigung der freien Kunst
bekämpft hatte, sondern lediglich die politische Richtung der neuen Zeit-
lyriker. Diese jungen Propheten fühlten sich zumeist doch stolz als Söhne
eines großen Vaterlandes; Heines Tendenz aber blieb nach wie vor,
alles deutsche Wesen zu verhöhnen, obgleich ihn dann und wann einmal
ein leises Heimweh beschlich. Er hatte sich seiner Nation entfremdet
und stand den neuen Ideen, welche Deutschland jetzt durchrauschten,
ebenso verständnislos, ebenso reaktionär gegenüber, wie einst Nicolai
und die Berliner Aufklärer unserer jugendlichen klassischen Dichtung.
Was ihm auch im neuen Deutschland begegnen mochte, alles und jedes
riß er in den Staub; auf jeder Seite des Wintermärchens kicherte er
schadenfroh: es wird nichts daraus, es kann nichts daraus werden; und
den Siegern von Dennewitz und Belle Alliance, die in ihrem neuen
Helmschmucke so bald wieder zum dritten Male den alten Siegesweg nach
Paris ziehen sollten, sang er weissagend die Warnung zu: „Des Mittel-
alters schwerer Helm könnt' euch genieren im Laufen!“ Aber all dieser
Hohn und Haß kam unzweifelhaft aus den Tiefen des Herzens. Auch