Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

Die Franzosen 91 
Der Vogesenwall, der zwischen Straßburg und Mülhausen seinen 
dunklen Schattenriß an den Himmel zeichnet, gestattete zunächst kein Vorgehen 
gesammelter Kräfte in verbundener Front. Die Gebirgsbildung zwang 
überall zu örtlich begrenzten Kämpfen um Täler, Querriegel, Sättel, Kuppen 
und Paßwege, zu denen der Gegner von Westen her leichteren Aufstieg hatte. 
Erreichte der französische Angreifer den Kamm, so lag die oberrheinische 
Tiefebene offen vor ihm ausgebreitet. Behauptete er sich auf der Höhe, so 
blieb die Niederung ständiger Bedrohung ausgeseczt. Die elsässische Ebene 
war zwar guter Schlachtenboden, der als solcher dem Eindringling gefährlich 
werden konnte, wenn er vollends herabstieg, aber für den Verteidiger wenig 
geeignet, die Enescheidung aus ihrem Schoß über die Berge nach Westen 
zu tragen. Der einzige breite Heerweg, die Pforte zwischen den Südvogesen 
und dem Schweizer Jura, wurde ja durch Belfort und die dort lagernde 
Armee verrammelt. Ein Ourchbruch durch die Schweiz war für keinen 
der beiden Gegner ratsam, da er auf große Geländehindernisse und eine 
starke Armee stieß, die zwar verdrängt, aber nicht von den Flanken fern- 
gehalten werden konnte und dann doppelt gefährlich wurde. Nicht im 
schweizerischen Bergland, sondern in der flandrischen Ebene winkten den 
großen Gegnern neue Schlachten und strategische Erfolgsmöglichkeiten. 
Diese WVerhältnisse haben bestimmend auf die Feldzugspläne Deutsch- 
lands, Frankreichs und Englands gewirkt. Sie gestatteten dem französischen 
Generalstab, die Armee eng zu versammeln und einem Jusammemwirken 
mit Belgien durch seitliche Verschiebungen auf der Grundlinie nach Norden 
gerecht zu werden, und zwangen den deutschen Generalstab, eine breitere 
Grundlage zu suchen, als die politische Grenze bot, um dadurch die von 
Natur und Kunst befestigte französische Ostfront im Norden zu umgehen. 
Ein deutscher Angriffsfeldzug, der einzig auf der Grundlinie Basel— 
Mey angeordnet wurde, war von vornherein aussichtslos, da man annehmen 
mußte, daß die Franzosen ihm mit dem Einsag voller Kraft begegnen würden. 
Er bot dem Gegner alle Vorteile der Verteidigung und ließ ihm überdies 
noch die Freiheit, seinerseits durch eine Umgehung im Norden überraschend 
die Entscheidung zu suchen und Deutschland dort tödlich zu treffen. Drang 
eine französische Armee durch Belgien an den Niederrhein vor, während das 
deucsche Heer zwischen Me9h und GBasel gefesselt stand, so konnte sie das hier 
stark nach Westen gerückte Schwergewicht der deutschen Metallindustrie von 
der Wage stürzen und damit Deutschlands militärischen Lebensnerv zerreißen. 
Eine deutsche Angriffsbewegung im Westen gebot also, rein militärisch 
betrachtet, Verteidigung am Oberrhein und eine Vorbewegung größten 
Stils vom Niederrhein durch Belgien auf Paris. Auch diesem Unter. 
nehmen glaubte der französische Feldzugsplan vorgebeugt zu haben. Frank. 
reich hoffte noch am 16. August die Enescheidungsschlacht auf der Linie 
Maastricht—Lüctich—Luxemburg—Saarburg—Mülhausen schlagen zu können.
	        
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