Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

92 Die militärische Lage Europas 
Die Belgier 
Das belgische Festungssystem, auf welches sich diese französische 
Hoffnung gründete, war als ein Stück der allgemeinen Landesverteidigung 
Belgiens dergestalt angeordnelt, daß es dem belgischen Feldheer Halt 
und Schirm gewährte und zugleich Zeit ließ, seinen Aufmarsch zu voll- 
ziehen. Dieser konnte jedoch bei der Schwäche der belgischen Armee nur 
dann auf Entscheidung im Felde zielen, wenn das Heer rechtzeitig von 
französischen und englischen Truppen aufgenommen und unterstützt wurde. 
Nun hat zwar die belgische Mobilmachung schon in den kritischen Tagen 
des Juli 1914 eingesetgzt, es war aber noch nicht zu einer vollen Bereit- 
stellung gekommen, als die Ereignisse ins Rollen gerieten. Da die Neu- 
ordnung des belgischen Hecres, die man im Jahre 1913 beschlossen hatte, zu 
Beginn des Krieges noch nicht durchgeführt war, ist die vorgesehene Kriegs. 
stärke von 350 000 Mann nicht enefernt erreicht worden. Belgien rief 
200 000 Mann unter die Waffen und zog mie 120 000 Mann in 6 Divisionen 
zu Felde, wogegen die an Bolkszahl lleinere Schweiz auf einen Schlag 
250 000 Mann auf die Füße stellte, um ihre Grenzen zu schützen. Die bel. 
gische Armee besaß nur geringe DAberlieferungen und keine größere Durch. 
bildung, war aber von dem WVertrauen auf mächtige Hilfe getragen, fühlte 
sich als Verteidigerin des nationalen Bodens und wuchs, trot schwerer 
Enttäuschungen, an ihrer Aufgabe. 
Französische und deutsche Militärschrifesteller paben das strategische 
Droblem, das den Generalstäben im Westen gestellt war, in den letzten 
Jahren vor dem Krieg offen erörtert. 
Die Generäle de Lacroix und Maitrot erkannten klar, daß das 
Schwergewicht der deutschen Kräfte im Westen durch die Anlagen der 
französischen Maasbefestigungen und engen Besammlungsraum Basel—DMe9# 
nach Norden verschoben worden war. „Die ganze Anstrengung Deutschlands,“ 
schreibt Maitrot 1913, „wird sich reches von der Pfalz und der Rheinpro- 
vinz durch Belgien und Luxemburg auslösen.“ Auf deutscher Seite hatte 
Generalleutnant v. Bernbardi, der als Schriftsteller von der Gegenseite 
am meisten beachtet wurde, in seinem Werke „Deutschland und der nächste 
Krieg“ auf den Durchbruch durch Belgien hingewiesen. 
Die belgische Regierung hatte im Jahre 1912 bei Beratung der neuen 
Wehrverfassung in der Kammer eine Grenzbefestigung südlich von Lüttich 
bis zur Grenze des Großherzogkums Luxemburg abgelehnt und eine Ver- 
mehrung der Feldarmee durchgesechk, die nördlich der Maas im Festungs- 
dreieck Lüteich— Antwerpen—Namur versammelt werden sollte. Diese 
mittelbare Verteidigung der belgischen Ostgrenze war nur denkbar, wenn 
sie als Teilbandlung eines französisch-belgischen Feldzugsplanes erschien, 
und die Aufstellung der belgischen Armee nördlich der Maas hatte offen-
	        
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