Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

100 Die militärische Lage Europas 
dadurch nicht beeinträchtigt wurde. Als die Soldaten des Kaisers und 
Königs Franz Joseph bei Kriegsbeginn nach altösterreichischem Brauch den 
grünen Laubzweig an die Kappe steckten, dachten sie indes mitnichten an eine 
abwartende Haltung, sondern brannten darauf, an den Feind zu lommen. 
Oarauf wartete auch die lleine tüchtige Kriegsflotte, deren Stunde aber erst 
schlug, als Icalien in den Krieg gegen Osterreich-Angarn eintrat. 
Oie Deutschen 
Am 6. August erließ Kaiser Wilhelm einen Aufruf an das deutsche 
Volk, in welchem der Gedanke ausgesprochen war, daß es sich in dem auf. 
steigenden Krieg um Sein oder Nichtsein des Deutschen Reiches handelte. 
„Wir werden uns wehren bis zum letzten Hauch von Mann und Roß,“ 
bieß es darin in klarer Kenntnis der überwältigenden militärischen Ausgabe, 
vor die der Krieg Bolk und Reich stellte. Das Wort: „Feinde ringsum,“ 
das in dem am geeichen Tage unterzeichneten Befehle an Heer und Marine 
stand, traf in vollem Lmfang zu. Nur „der beiße, durch nichts zu bezwingende 
Wille zum Sieg"“, auf den der Kaiser in seinem Armeebesehl vertraute, 
konnte Deurschland befähigen, einer Welt von Feinden die Spige zu bieten und 
mit Osterreich-Ungarn und der Türkei einer Koalition von unerhörter Mäch- 
tigkeit entgegenzutreten. Nicht der Feldzugsplan, so wichtig er war, nur 
der Geist des Heeres und die vollkommene Hingabe des ganzen Volkes an 
den vaterländischen Gedanken sehztten Deutschland instand, einen solchen Krieg 
auf sich zu nehmen und ihn so lebendig zu erfassen und organisch zu gestalten, 
daß er zur vollen, erschöpfenden Lebensäußerung, zur zweckvollen Bestätigung 
des ganzen Volkes und Staates wurde und die Nation über sich hinaus- 
wachsen ließ. 
Heer und Flotte waren bereit. Nur eines mochte fraglich erscheinen, 
ob diese während langer Jahre in unsäglicher Arbeit und fieberndem Schaffen 
erworbene Bereitschaft nicht eine äußerliche war und eine Schädigung der 
Nervenkraft im Gefolge gehabt hatte. Darauf haben die Feldzüge dieses 
Krieges eine heldenhafte Anewort gegeben. Als die Mobilmachung aus- 
gesprochen war, erlosch alle Nervosität, auch aus der Ferne spürte man das 
Weben und Walten eines Heerwesens, das nun aus dem „Leerlauf“ zur 
aufs höchste gesteigerten Leistung aufgerufen ward. Dadurch erhielt der 
Glaube Nahrung, daß Deutschland den Krieg mit Absicht berbeigeführt 
babe. Die im Wesen des Volkes und in seiner Staatsauffassung ruhende 
und wirkende Gründlichkeit der Ausführung wurde in dieser Auslegung 
als absichesvolle Kriegsvorbereitung mißdeutet. Deutschland war in der 
DTat kriegsbereit, und zwar war es das, weil die gesetzlichen Maßnahmen 
ihre Erfüllung gefunden hacten und das Heerwesen mit rücksichtsloser
	        
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