Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

Die Lage der Deutschen 169 
Was der Gegner nach dem Scheitern seiner ersten Offensive und dem 
Verlust der Maas- und Oiselinie zu tun gedachte, entzog sich der Kenntenis 
der deutschen Heeresleitung. Daß er zwischen der Nordgrenze und der 
Marne nicht mehr standhalten könne, ergab sich jedoch aus den Verhältnissen. 
Er konnte vollständig überwunden werden, wenn seine freien Streitkräfte 
vernichtet oder zur Bewegungslosigkeit verurteilt wurden. Also gebot auch 
diese Erwägung die Fortsetzung des Angriffsfeldzugs. Gelang es, den Feind 
rechtzeitig zu schlagen und nach Paris bineinzuwerfen oder nach Süden 
abzudrängen, so eröffneten sich günstige Aussichten auf rasche Beendigung 
des Feldzuges im Westen. 
Oa die beweglichen französischen Heeresmassen in allgemeinem Rückzug 
begriffen waren, galt es, sie einzuholen und zur Annahme einer Schlacht 
zu zwingen oder von der an der Maas und Vogesenfront festklebenden Kampf. 
gruppe abzusprengen. Zerriß die französische Front und warf sich die linke 
Flügelgruppe nach Paris, so war die rechte Flügelgruppe, die mit der Front 
nach Osten kämpfte und dort die 6. deutsche Armee und Teile der 7. Armee 
und standfeste Landwehrtruppen gegen sich hatte, links umgangen und der 
Vernichtung verfallen, wenn sie nicht beschleunigt nach Südosten auswich. 
Dar sie dies, so konnee sie immer noch von der Loire abgeschnitten und gegen 
die schweizerische Grenze gedrückt werden. Dieser Fall traf auf das ganze 
französische Feldheer zu, wenn die linke Flügelgruppe sich der Anziehungs- 
kraft des verschanzten Lagers von Paris entzog und die gesamten französischen 
Streitkräfte auf Langres zurückfluteten. Holte man dann den geschlagenen 
Feind ein, ehe er das Festungsfünfeck und das Rhonetal erreichte, so konnte 
man ihn zum letzten Schlagen zwingen, wieder von rechts umfassen und den 
Feldzug zwischen Paris und Epinal durch eine Entscheidungsschlacht krönen. 
Offen blieb die Frage, ob die deutschen Kräfte genügten, dieses hohe 
und weitgesteckte Ziel in stürmischem Anlauf zu erreichen. Die Verbindungs. 
linien schienen überdehnt, der Nachschub gefährdet und Belgien noch nicht 
unterworfen. In Antwerpen lag ein belgisches Heer von fünf ODivisionen, 
das nur durch ein Beobachtungskorps festgehalten wurde, vor Maubeuge 
behauptete sich ein rühriger Feind noch im Vorgelände der starken Festung, 
und im Westen verschwammen die #mrisse der strategischen Lage in der 
Richtung auf die Kanalküste völlig im Ungewissen. Die Etappen selbst waren 
nur schwach besecht und alle enebehrlichen Kräfte nach Osten geworfen worden, 
wo Osterreich-Ungarn sich nach blutigen Schlachten dem Ansturm der russi- 
schen Millionen zwischen Krasnik und Nikolajew aufs neue enkgegenstemmte 
und die deutsche Ostarmee mit den weit überlegenen Streitkräften Rennen- 
kampfs an den masurischen Seen noch um die Entscheidung rang. 
Solange das im siegreichen Vormarsch auf die Marne fortschreitende 
deursche Heer die operative Aberlegenheit behauptete, konnten diese Er- 
wägungen seinen Schwung nicht lähmen und die Entschlüsse der obersten
	        
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