Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

QAm Elsaß-Lothringens willen 
cl- sich am 18. Jonuar 1871 das neue Deutschland in der Spiegelgalerie 
zu ersailles mie den Hochrufen auf Kaiser Wilhelm I. gebieterisch an- 
kündigte, schob die Welkgeschichte einen neuen Stuhl zwischen die vier goldenen 
Sitze, die um den Tisch der höchsten Macht gereiht standen. England, Frank. 
reich, Rußland und Osterreich, die von alters an diesem Tisch gesessen, sahen 
sich aufgefordert, dem neuerstandenen Deutschen Reiche Plas zu machen, ihm 
Einfluß und Stimme zu geben und Anteil an den Gütern der Erde zu ge- 
währen. 
Die Erhöhung Deutschlands ist erst dadurch möglich geworden, daß 
der deutsche Staatenbund sich unter Führung Preußens im Kriege gegen 
Frankreich zur nationalen Einbeit durchrang. Aus der Niederlage Frank- 
reichs erwuchs das Deutsche Reich. Diese tragische Verkettung von deutschem 
Aufstieg und französischem Abstieg hat in ihrem ursächlichen Zusammenhang 
die geschichtliche Enewicklung Europas in den vierundvierzig Jahren bestimmt, 
die vom Frankfurter Frieden bis zum Ausbruch des Europäischen Krieges 
verstreichen sollten. « 
Wohl war der Krieg von 1870/71 ein neues Glied in der Kette von 
Zusammenstößen und Auseinandersetzungen, die Frankreich und Deutschland 
im Laufe von Jahrhunderten miteinander erledigt hatten, aber wenn es 
den Deutschen als Endglied erschien und von ihnen als gerechter Abschluß 
dieser vielhundertjährigen Entwicklung betrachtet wurde, so teilte Frankreich 
diese Anschauung mitnichten. Der nationale Stolz der Franzosen ließ den 
Krieg von 1870 um so weniger als entscheidende Auseinandersetzung mit 
Deutschland gelten, als ihnen im Frankfurter Frieden ein Stück nationalen 
Bodens entrissen worden war. Wohl ist das Elsaß einst ein Teil des deutschen 
Siedlungs- und Machtgebietes gewesen und wertvolles deutsches Kultur. 
land geblieben, aber die Einverleibung des Landes in den französischen 
Nationalstaat hatte sich zu Zeiten vollzogen, da das deutsche Staatsgefühl 
noch nicht lebendig war. In losem Zusammenhang fügte sich das Elsaß 
dem glänzenden Reiche des Sonnenkönigs an. Dann wurde es mit von 
der Revolution erfaßt und erlebte mit Frankreich die Emanzipation des 
dritten Standes, die Verkündigung der Menschenrechte und die Aufrichtung 
eines bürgerlichen Staatswesens auf demokratischer Grundlage. Die Helden- 
zeit der napoleonischen Dra tat ein übriges, und die industrielle Blüte, der das 
Land schon in den dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts entgegen- 
ging, vollendete den politischen Entwicklungsgang. Im Wesen blieb das Land 
 
	        
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