Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

212 Der Feldzug im Westen bis zum 15. September 1914 
Ein Kannä ist doch nur dann möglich, wenn der Angreifer dem Gesetz 
der meisten Offensioschlachten unterliegt, nach einem Worte Clausewigtzens 
min unbekannte Verhälenisse hineintappt“, sich im Seirnkampf durch ein 
gerade ausreichendes, an sich noch angriffsfähiges Zentrum von mindestens 
gleicher Frontlänge gebunden sieht und der Flankenangriff der beiden 
Flügel erst dann erfolgt, nachdem möglichst alle Kräfte des Angreifers 
gegen das Zentrum eingesegt sind. Das war südlich der Marne nicht der Fall. 
Nach der Ansicht Napoleons und Clausewitzens ist eine schwächere 
Armee überhaupt nicht in der Lage, eine Vernichtungsschlacht dieses Scils 
einzuleiten. Der größte Praktiker und der größte Theoretiker fordern hierzu 
übereinstimmend Aberlegenheit der Kräfte. Anders Moltke und Schlieffen, 
die auch mit einer Minderheit den Erfolg durch doppelseitige Umfassung 
suchen und deren Tbeorie durch die Schlacht bei Tannenberg, die Hinden. 
burg vom 24. bis 30. August schlug, aufs neue gestüht wird. Dieser scheinbare 
Gegensag der Anschauungen verliert an Bedeutung, wenn wir den Gegriff 
der Iberlegenheit llarstellen. Und zwar ist nicht die Lahl, sondern die 
Güte der Truppen im Kriege bis zu einem vernünftigen Verhältnis maß. 
gebend für die Begriffsbestimmung der Lberlegenheit. Innerhalb gewisser 
Grenzen ist als der Schwächere nicht der an Jahl, sondern der an Mansorier= 
fäbigkeit und Kampfkraft Unterlegene anzusehen. Deshalb kann auch eine 
lleinere Truppe unter AUmständen eine größere in Wernichtungsschlachten 
verwickeln, die mit einer Katastrophe enden, wie dies bei Kannä und Tannen- 
berg der Fall war. 
Niemals aber wäre es an der Marne den englisch-französischen Armeen 
gelungen, das deuesche Heer in ihren Armen zu erdriücken. Die Doktrin, 
daß der einzige Ausweg aus doppelseitiger Amklammerung immer und überall 
in der Richtung eines beschleunigten Rückzuges gehben müsse, ehe die Schlacht 
das ganze Heer erfaßt habe, enthält vielleicht doch einen Verzicht, der das 
Strategem über Entschluß und Operationsfähigkeit der Führung und den 
Plan über die lebendige Kraft des Heeres stellt. 
Oas stoßkräftige und bewegliche deutsche Heer hätte nach Klucks glänzen- 
der Parade am Ourcgq die Durchführung des Zentrumstoßes zwischen Sezanne 
und WVitry nicht zu scheuen brauchen, auf die Gefahr, nachher mit verwandter 
Fronté gegen die nach Osten und Westen auseinandergebrochenen französischen 
Heere fechten zu müssen. DTatsächlich war das französische Jencrum zwischen 
La Fere-Champenoise und Mailly schon aufgebrochen und von der PVer- 
bindung mit dem linken Flügel der 4. Armee abgelöst, als der Rückzug ein- 
geleitet wurde. 
Eine Lücke von 20 Kilometern Breite klaffte zwischen den Armeen 
Foch und de Langle, Fochs rechter Flügel und de Langles linker Flügel waren 
geschlagen. Ehe de Cangle mit sechs zusammengerafften Divisionen seinen 
Rammstoß ansehte, um wieder auf Witry vorzubrechen, konnte das Schicksal
	        
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