Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

Die Dolitik König Eduards 11 
die Festlandsmächte sich gegenseitig zerfleischten oder anstarrten comme 
des chiens de sayence. Das wurde zum letzten Male geschichtlich offenbar, 
als England sich anschickte, die Burenfreiskaaten Südafrikas endgültig in 
seinen Machebereich bineinzuziehen und seinem Welkorganisationsgebilde 
einzuverleiben. Aber dieser Krieg fesselte und erschöpfte England in höherem 
Grade, als es vorausgesehen hatte, und machte ihm die Gefahr der „Splendid 
isolation“ angesiches der zunehmenden Erstarkung Deutschlands erschreckend 
klar. Hatte doch das Niederringen der Buren auf dem europäischen Fest. 
lande Strömungen hervorgerufen, die sich mit erregtem Wellenschlag gegen 
England richteten und nur durch die Schachstellung Deutschlands und Frank. 
reichs ihre Wirkung verloren. Mit dem Tode der Königin Wiktoria, der 
im Jahre 1901 erfolgte, stieg auch die verblaßte splendid isolation ins Grab. 
König Eduard VII. suchte andere Wege. Der König entzog sich der 
Erkennenis nicht, daß das englisch geordnete europäische Gleichgewicht dahin 
und ein Welegleichgewicht, in dem England ausschlaggebend hätte wirken 
können, noch nicht möglich war. England sah sich also vor einen neuen Ent- 
schluß gestellt. In Sir Eduard Grey fand König Eduard einen Minister, der 
bereit war, die Folgerungen aus der veränderten Sachlage in einer bestimmten, 
gegen Deutschland gerichteten Anordnung zu ziehen. Unter dem Namen 
der Ententepolitik begann Englands geschichtliche Koalicionspolitik in ver- 
feinertem Juschnitt wieder aufzuleben. Im Jahre 1902 enestand das Bündnis 
mit Japan, und im Jahre 1904 erblühte als größter Erfolg die Annäherung 
Frankreichs, das sich dem Gedanken ciner herzlichen Freundschaft mit dem 
Erbfeinde verflossener Jahrhunderte trotz innerer Wesensverschiedenheit gern 
bingab. Diese Verbindung war auf englischer Seite bereits aus der Befürch. 
tung geboren, daß die Fesklandstaaten sich nicht mehr gegenseitig in Schach 
hielten, daß Dreibund und Zweibund sich nicht mehr aufwogen und daß selbst 
der stärkste gegen Deutschland und Osterreich-Ungarn gerichtete Festlandsbund 
das schwebende Gleichgewicht nicht mehr sicherstellte. Im Grunde hatte also 
König Eduard VII. niches anderes getan, als die Folgerungen aus der Einsicht 
gezogen, daß das europäische Gleichgewicht, wie es sich in der ursprünglichen 
Anordnung darstellte, nicht mehr bestand. Er betrieb altbritische Koalitions- 
politik, die gegenüber Deutschland zur „Einkreisungspolicik“ wurde, gab die 
vsplendid isclation“ auf und knüpfte ein wie mit Spinnfäden gezogenes Netz 
von Bündnissen, von politischen Freundschaften und mehr oder weniger bin- 
denden Verabredungen, das jeden Lufthauch spürte und jede kleine Bewegung 
Üüber ganz Europa und um den Erdball fortpflanzte und gerade dadurch zur 
Erhöhung der Weltspannung beitrug. 
Englands Stellung ist jedoch durch diese Freundschaftspolicik wesentlich 
gestärkt worden. Binnen zehn Jahren hat es den Weg aus der glänzenden, 
lange gebietenden, zuletzt aber gefährlichen Einsamkeit zur führenden Rolle 
in einer neuen Mächtegruppe gefunden und zugleich den jahrhundertealten
	        
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