Belgien und die Großmächte 17
Albert sich für eine menschenwürdigere Behandlung der Kongoneger ver.
burgt hatte. Obrigens war die Einwerleibung des Kongostaates in Belgien
durch die Garantiemächte der belgischen Unabhängigkeit ohne Vorbehalt an-
erkannt worden, da sie das Interessengleichgewicht, das im Vertrag von
1839 hergestellt war, durch die Amwandlung der Leopoldischen Gründung in
eine belgische Kolonie nicht bedroht sahen. Gleichwohl war die belgische
Neutralität an sich dadurch gemindert worden, eine Tarsache, die erst zu
Gewicht gelangt ist, als es für Belgien längst zu spät war, auf das — über-
dies bezahlte — Danaergeschenk König Leopolds zu verzichten. Dieses „Zu-
spät“ erfährt durch die Einkreisungspolitik König Eduards die richtige
Beleuchtung. Da tauchten plöglich die Schlagschatten einer drohenden
Gefahr am belgischen Horizont auf, der bereits durch die eifrige Hinneigung
des führenden wallonischen Vollsteils zu Frankreich verschattet worden
war (7).
Der europäische Friede war durch die Einkreisungspolitik des ge-
krönten englischen Staatsmannes unmittelbar bedroht, wenn irgendeine der
Ententemächte eine zwischen ihr oder einer ihr nahestehenden kleinen Macht
und einem Angehörigen des Oreibundes entbrennende Streitfrage vor
das europäische Gericht brachte. Geschah dies, und wurden alsdann die
beiden großen Heerlager unter die Waffen gerufen, so war Welgien in erster
Linie gefährdet. In zweiter Cinie standen Holland und die Schweiz vor
der Gefahr, den Krieg über ihre Grenzen hereinbrechen zu sehen. Die Diplo-
matie Belgiens hat die Belgien drohende Gefahr richtig erkannt, und die
Gesandten, die das neutrale demokratische Königreich in den Mittelpunkten
des Weltgeschehens unterhielt, haben diese Entwicklung in ihren Werichten
an die Brüsseler Regierung treffend gekennzeichnet und es an Warnungen
nicht fehlen lassen. Also hing für Belgien fortan alles von der Einschägung
ab, die man in Brüssel den europäischen Kräfteverhälmmissen angedeihen ließ,
wenn man nicht bereit war, unbedingte Neutralität zu bewahren, nirgends
Anlehnung zu suchen und selbst unverbindliche Erörterungen Über Kriegs.
möglichkeiten mit den Vertretern der Großmächte zu vermeiden. Diese
Einschäzung, ob falsch oder richtig, schrieb dann der Regierung ihr Ver-
halten vor.
Belgien war von alters her nicht in der Lage, eine unbedingte Neutralität
zu Üben, und auf der anderen Seite in besonderem Maße von einer Abirrung
der Gefühle bedroht, weil dem Lande die geschichtlichen Grundlagen und eine
selbsterkämpfte Machtskellung mangelten. Diese Einsicht ist bezeichnender-
weise zuerst in England laut geworden. Das Kabinett von St. James hat
bereits im Jahre 1789 in AUnterhandlungen, die zwischen ihm und der Krone
Preußen geführt wurden, zu verstehen gegeben, daß eine Emanzipation
Belgiens nicht im britischen Interesse läge, da ein unabhängiges Belgien
in Abhängigkeit von seinem mächtigen Nachbarn Frankreich geraten werde (9).
Stegemanas Geschichte des Kelege# 1.