18 Aus der Vorgeschichte des Krieges
Ein Jahrhundert später hatten die Verhältnisse dieses Problem vom
britischen Gesichtspunkt aus umgewertet. Da Frankreich sich an England
gebunden hatte und ein zu England in Gegensah geratenes mächtiges Deutsch-
land enestanden war, hatte eine allfällige Anlehnung Belgiens an Frankreich
für England nichts Schreckhaftes mehr.
Von 1909 an war ein souveränes Belgien dank seiner Abhängigkeit von
der Politcik der Westmächte eine bestimmte Größe in der englisch französischen
Rechnung. Belgiens Bedeutung für die Neuordnung der englisch-französischen
Politik wuchs noch, als das Land sich eine militärische Rüstung angelegen sein
ließ, die unter den gegebenen Verhältnissen als eine Grontstellung gegen Osten
erscheinen mußte. Niemand hat die Gefahren, die gerade für Belgien aus
der englisch-französisch-russischen Ententepolitik erwuchsen, deutlicher erkannt
als die belgische Diplomatie, die sich der Gefahren wohl bewußt wurde, in
die ihr Land durch die europä#sche Policik des Dreiverbandes geraten war.
Der belgische Gesandte in Berlin, Baron Greindl, hat das am 27. Januar
1908 in dem schlagenden Briefsatz ausgedrückt: „La politique dirigée par
le roi Edouard VII sous le prétexte de gerantir 1 Europe du péri
allemand imaginaire à cr## un danger français trop récl et qui nous
menace en premiere ligne.“
Das GBalkanproblem
Die Marokkokrise verstärkte die Reibungen der europäischen Mächte.
gruppen. Das Mittelmeerproblem hatte alle Randländer ergriffen und
die Interessen der europäischen Mächte an diesem ältesten Kulturbecken
Europas aufs neue zur Erörterung gestellt. Italien suchte sich aus dem
Dreibund zu lösen, der ihm weder volle Sicherheit noch berückende Vor.
tleile zu bieten schien. Die Bestrebungen der Irredenta erfuhren fort-
gesetzte Hflege, und die Beherrschung der Adria wurde zur Forderung
des Tages. Diese Bestrebungen schossen in Frucht, als die englisch- fran-
zösische Holitik die Verteilung der nordafrilanischen Küste crotz des deutschen
Widerspruchs planmäßig durchgeführt hatte und Rußlands NRückkehr zur
alten Orientpolitik keinem Widerstand des befreundeten England und
Frankreich mehr begegnete.
ARußland, das sich durch Japan um seine Ausbreitung in Ostasien be-
trogen wußte, wandte sich wieder dem nahen Orient zu und sammelte hier
seine Energien und Ideale, um endlich den ungehinderten Ausgang aus dem
Schwarzen Meer und somit den Weg zur freien See zu finden, den ihm
Englands Verbündeter im fernen Osten verlegt hatte. Kaum war der
Friede von Portsmouth geschlossen, der zwischen Rußland und Japan einen
tragfähigen Friedenszustand schuf, so legte die russische Policik das Steuer
um und schiffte nach der Aberwindung der Nevolution eneschlossen westwärts.