22 Aus der Vorgeschichte des Krieges
Der diplomatische Vorteil, den es durch diesen sachlichen Verzicht
errang, lag auf der Hand. Englands Einspruch mußte an Schärfe und Be.
stimmtheit verlieren, nachdem die Türkei sich befriedigt erklärt hatte. Eng-
land verzichtete auf die Führung des Gegenspiels, war indes geneige, Nuß-
lands Einspruch als den des Nächstbeteiligten zu stüchen und der Regierung
des Zaren den Rücken zu stärken. In diesem Sinne war besonders der britische
Vertreter, Botschaftsrat Arcur Nicolson, in Petersburg tätig. Rußland
scheute zwar ein allzu schroffes Auftreten, blieb aber auf seinem Standpunk:
stehen und erschwerke dadurch Osterreich-ngarns Lage beträchtlich. Ruß.
lands Halecung ermutigte Serbien, seine Sache weiter mit Leidenschaft zu ver-
fecheen. Feierlich legte die serbische Volksvertretung gegen die Ein.
verleibung Bosniens in die Donaumonarchie Verwahrung ein, während
zugleich die Rekruten unker die Fahnen gerufen wurden. Griffen Ruß.
land und Serbien wirklich zu den Waffen, so sah sich Osterreich-Ungarn
mit dem Werderben bedroht, wenn es allein blieb. Aber auch eine
diplomatische Niederlage, nur durch Bedrohung herbeigeführt, mußte das
große Donaureich schwer gefährden, seinen inneren Bestand schädigen und
seine Bündnisfähigkeit herabseqen. In der Erkenntnis dieser Sachlage griff
Deutschland als Osterreich-Ungarns Verbündeter mit Eneschiedenbeit in der
Streitfall ein.
Am 29. März 1909 hielt Fürst Bülow im Reichstage eine Rede, die
keinen Zweifel ließb, daß Deutschland gesonnen war, die Folgerungen aus
dem Bündnisvertrag mit Osterreich--Ungarn in vollem Umfange zu ziehen
und im Falle der Nok mit dem Schwert neben seinen Genossen zu treten.
Es fiel das Wort von der „Nibelungentreue“" (10). Da König Eduard sich
vorläufig von dem nicht allzu günstig stehenden Spiele schied, Frankreich
in Marokko stark gebunden war und sich durch den am 9. Februar 1909
geschlossenen deutsch französischen Marokkovertrag die Früchte von Alge-
ciras gesicherk hatte, wurde durch diese kraftvolle Erklärung die Encfesselung
des europäischen Krieges bintangehalten, obwohl Iswolsti noch einen
lehten Versuch machte, die bosnische Angelegenheit vor einen europäischen
Gericheshof zu bringen. Dieser Wersuch ist bemerkenswerk, weil er von
der Auffassung ausging, daß es sich immer noch um eine europkische An-
gelegenheit handelte, damit die Gefahr eines europäischen Krieges aufs
neue an die Wand malte und ein warnendes Beispiel für die Zulunft aufstellte.
Als der Worschlag Iswolskis zu Wien und Dest auf entschiedenen
Widerstand stieß und der russische Minister kein Bedenken ktrug, seine Forde-
rung durch militärische Vorbereitungen zu unterstüchen, entschloß sich Deutsch-
land, den glimmenden Funken mit eisernem Schuh auszutreten, ehe der
Brand das europäische Friedensgebäude ergriff. Unter ernstem Hinweis
auf die Gefahr der Stunde und die Hand aufs Schwerk gestüste, legte die
deutsche Regierung einen Bermittlungsvorschlag vor: OÖsterreich-Ungarn