Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

Das Balkanproblem 23 
sollte sämtliche Großmächte um ihre Justimmung zur Einverleibung ersuchen 
und die Mächte ihre Zustimmung durch diplomatische Noten erkeilen. Hinter 
diesem formellen Vorschlag sland — wenn er verworfen wurde — das 
Schreckbild des europäischen Krieges, denn im ußersten Falle konnte Ruß. 
land das zu Schuß und Trucß verbündete Frankreich mitreißen. Frankreich, 
das auf unbedingte Hilse des englischen Freundes für einen solchen 
Waffengang noch nicht zählen konnte und die eigene Rüstung nicht stark 
genug wußte, riet Rußland unter dem Druck der Umstände selbst zur An- 
nahme des Vorschlags, die auch am 26. März erfolgte. Auf Osterreich- 
Ungarns Wunsch wurde Serbien zur Bekräftigung der friedlichen Erledigung 
eine Verzichterklärung vorgelegt, die nach Gutheißung durch die Großmächte 
folgenden Wortlaut enthielt: 
„Serbien anerkennt, daß es durch die in Bosnien geschaffene Tarsache 
in seinen Rechten nicht berührt werde und daß es sich demgemäß den 
Entschließungen anpassen wird, welche die Mächte in bezug auf Artikel 25 
des Balkanwvertrages treffen werden. Indem Serbien den Natschlägen 
der Großmächte Folge leistek, verpflichtet es sich, die Haltung des Dro- 
testes und des Widerstandes, die es hinsichtlich der Annexion seit ver.- 
gangenen Oktober eingenommen hat, aufzugeben, und verpflichtet sich 
ferner, die Richtung seiner gegenwärtigen Dolitik gegenüber Osterreich- 
Ungarn zu ändern und künftighin mit diesem lehteren auf dem Fuße 
freundnachbarlicher Beziehungen zu leben.“ 
Am 30. März 1909 begaben sich die Gesandten der sechs Großmächte 
aus dem englischen Gesandeschaftshotel in Belgrad in den Konak des Ministers 
des Außern und verlangten die Anerkenmung dieser Formel. 
Für den Wertreter Rußlands ein schwerer Gang, für Serbien ein 
noch bedrückenderer Empfang. Und doch barg dieses Erscheinen Europas 
vor dem serbischen Minister für das serbische Volk auch eine große Genug- 
tuung. 
Die Serben haben sich wie alle ehemaligen Rojahvölker einen wilden, 
ungebrochenen Trieb nach Freiheit und Macht bewahrt, verstehen die Kunst 
zu warten und sind bereic, zu umstürzlerischen Mitteln zu greifen, um im 
gegebenen Augenblick ihr Ziel zu erreichen oder ihre Qache zu sättigen. 
Dieser Instinkt bewährte sich am 30. März 1909. Im Mißerfolg lag ein 
Erfolg verborgen, der sich in der Gegenüberstellung Europas und Serbiens 
verriet. Europa verlangte, und Serbien gewährte. Am 31. März über- 
reichte der serbische Gesandte in Wien die Verzichterklärung — die Staats- 
bandlung war zu Ende, der Krieg beschworen, die Verbandsmächte waren 
zurückgewichen, Deutschland hatte die Beseitigung des Artikels 25 der Berliner 
Mre durch sein tatkräfciges Eintreten fl## Osterreich-ngarn durchgesetzt, 
und Serbien war zur Anerkennung der bestehenden Verhältnisse genötigt 
worden. Von diesem Tage an war das zurückgewichene Nußland Serbien
	        
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