26 Aus der Vorgeschichte des Krieges
reichischen Bündnis in viel höherem Maße als von dem Vertrag, der Italien:
an die beiden Mächte knüpfte, denn das deutsch. österreichische Bündnie
besaß damals die vornehmste Eigenschaft eines internationalen Vertrages,
den Ausdruck beiderseitiger dauernder Interessen auf deutscher und auf öster.
reichischer Seite (11). Aber er konnte Folgerungen zeitigen, die die Gefahr.
zone für beide Teile erweiterten, wenn auch nur einer der Teilhaber in Ver-
wicklungen geriet, die von der Interessensphäre des anderen weiter ablagen,
und auf eigene Gefahr handelte. Das war der Fall, als Osterreich-Ungarn
plößlich die Orientfrage hervorzog und als Deutschland durch den Einspruch
gegen das französische Vorgehen in Marokko zu der französischen Republik
und zu England in einen scharfen Gegensaß gerückt wurde.
Frankreich hatte sich bei der Stiftung der „Entente cordiale“ durch den
Verzicht auf Agypten und die Anerkenmung der britischen Herrschaft im
Niltal das „desintéresscment“ Englands in Marokko und damit Maroklo
selbst gesichert. Beide Mächte hatten sich stark genug gefühlt, der Rücksprache
mit Deutschland zu entraten, nachdem Italien verständigt worden war. Durch
Deutschlands Einspruch war die Maroklokrisis entfesselt worden, die zwar
den Rücktritt Delcassés, des Mitstifters der Entente cordiale, nach sich zog,
aber England und Frankreich waren durch die Austragung des Handels
noch enger zusammengeführt worden. Als der Streitfall der Konferenz
zu Algeciras zur Lösung überwiesen wurde, war auf der anderen Seite
Osterreich-Ungarn zum ersten Male neben Deutschland getreten, um ihm
in diesen schwierigen Tagen des Jahres 1906 Sekundantendienste zu leislen,
während sich Italien, durch die Anwartschaft auf CTripolis geködert, beiseite
gebalten hatte. Die Konferenz von Algeciras war die Hauptprobe der neuen
Mächtegruppierung gewesen und der Dreibund dabei gewogen und zu leicht
befunden worden.
JIn Umkehrung der WVerhältnisse sah die Balkankrisis von 1906/09
dann Deutschland in der Sekundantenrolle. Diesmal war der Drei-
verband zurückgewichen. Das Gewicht der Mittelmächte war gewachsen,
obgleich Icalien sich abermals im Hintergrund hielt und bereits auf Scheidung
sann. Da mit dieser Scheidung vom Dreibund die Einbuße gewisser Siche-
rungen und Gorteile verbunden war, blieb Italien indes noch im Bunde,
ohne ihm innerlich treu zu sein. Doch durfte es sich gelegentliche Abschwei-
fungen und „Extratouren“ so lange erlauben, als sie von den Bundesgenossen
geduldet oder nur mild geahndet wurden. Deutschland und Osterreich wußten,
daß eine Verstoßung Italiens mit dessen offenem Anschluß an den Orei-
verband enden würde. Die Machtverschiebung wäre dadurch der Welt
offenkundig zur Kenntnis gebracht und der „Trommler mit der Lrikolore"“
endgliltig vom Mont Cenis verscheucht worden. So ließ man es scheinbar
beim alten. Der Oreibund wurde erneuert, aber Osterreich-Ungarn begam
seine italienische Grenze militärisch instand zu sehhen.