Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

Die orientalische Krisis 37 
beraten hatten. Dieser Meinungsaustausch hatte allerdings die Eneschluß- 
freiheit der Regierungen nicht berühren sollen, vermittelte aber beiden Teilen 
so eingehende Kenntnisse der gegenseitigen Verhältnisse, ihrer militärischen 
Schwächen und Stärken, daß beide Teilhaber dadurch militärisch aufeinander 
angewiesen und politisch noch einmal gebunden wurden. Diese Schluß- 
folgerung trifft auch eine Fühlungnahme, die von britischen und französi- 
schen Fachleuten mit dem belgischen Generalskab herbeigeführt worden ist, 
um Anhaltspunkte über eine Frontstellung gegenüber Deutschland zu ge- 
winnen, obwohl hier ausdrücklich darauf gehalten wurde, diese Besprechungen 
außerhalb der politischen Sphäre zu pflegen und die Regierungen nicht durch 
sie zu binden. 
Der Brief, den Sir Edward Grey am 22. November 1912 dem fran- 
zösischen Botschafter schrieb, entbielt folgenden Leitsatz: 
„Ich bin einverstanden, daß, wenn die eine oder die andere Regie- 
rung schwerwiegende Gründe haben sollte, ohne Herausforderung den Angriff 
einer dritten Macht oder ein Ereignis zu erwarten, welches den allgemeinen 
Frieden bedroht, diese Regierung sogleich mit der anderen erwägen sollte, ob 
nicht beide gemeinsam vorgehen müssen, um einen Angriff zu verhindern und 
den Frieden aufrechtzuerhalten, und in diesem Falle die Maßregeln 
zu suchen, welche sie geneigt wären, gemeinsam zu ergreifen, 
und daß, wenn diese Maßnahmen eine Aktion einschließen, die Pläne 
der Generalstäbe sofort in Erwägung gezogen werden und die NRegie- 
rungen entscheiden sollen, welche Folge ihnen gegeben werden müßte“ (15). 
Der Brief, der diesen Saß enthält und von Cambon am 23. November 
bestätigt wurde, ist eine der wichtigsten Arkunden zur Vorgeschichte des 
europäischen Krieges; er enthält die Bindung Englands. 
Als die beiden Briefe in einem englischen Blaubuch veröffentlicht und 
dem englischen Parlament wie der Welt bekanntgegeben wurden, waren die 
in ihnen liegenden Folgerungen schon in die Wirklichkeit gewachsen und der 
Krieg entbrannt. 
Die orientalische Krisis 
Bismarck hat am 6. Februar 1888 die europäische Lage und ihre damals 
sichtbaren Entwicklungsmöglichkeiten mit unübertrefflicher Klarheit dar- 
gestellt und gesagt: 
„Es ist ja die wahrscheinlichste Krisis, die eintreten kann, die orientalische. 
Wenn sie eintritt, so sind wir bei der gerabe nicht in erster Linie beteiligt. 
Wir sind da vollkommen und ohne irgendwelcher Verpflichtung zu nahe zu 
treten, in der Lage, abzuwarken, daß die im Mittelländischen Meere, in 
der Levante nächstbeteiligten Mächte zuerst ihre Entschließungen treffen, 
und, wenn sie wollen, sich mit Rußland vertragen oder schlagen. Wir sind
	        
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