Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

Kaiser und Zar 51 
zum Frieden. In Petersburg war man zum Außersten entschlossen. Der 
russisch. österreichische Gegensatz war nicht mehr zu bannen, denn er ging auf 
den Grund der Dinge. Rußland wollte den Krieg mit der „Flickmonarchie“ 
und seine Nache für 1909, da es nach seinem Ausschluß vom Gelben Meer 
den Ausgang aus dem Schwarzen Meer suchte. Als günstiger Wind 
flog ihm der österreichisch-serbische Streitfall in die Segel und trieb das 
russische Staatsschiff dem Bosporus zu (38). 
Kaiser und Zar 
Bei der Betrachtung dieser verwickelten, in den diplomatischen Akten- 
stücken durcheinanderlaufenden Streitfragen kann nicht scharf genug zwischen 
dem österreichisch-serbischen Fall und dem durch Rußlands Einmischung 
herbeigeführten europäischen Fall unterschieden werden. Ersterer brauchte 
den europäischen Krieg nicht nach sich zu ziehen, ob auch der Straffeldzug 
liber die Donau angetreten wurde, letzterer mußte ihn entfesseln, wenn 
Rußland sich nicht von den Wiener Wersicherungen über die Erhaltung der 
serbischen Staatshoheit und Staatsgebietes befriedigt erklärte und seine 
Rüstungen einstellte. Aber auch die schärfste Auseinanderhaleung der beiden 
Streitfälle muß eine rein logische, auf die äußere Betrachtung beschränkie 
bleiben, da sie inmerlich nicht voneinander zu trennen sind. 
NRußlands Auffassung, die auf dem Gedanken der russischen Vor- 
berrschaft auf dem Balkan und der Schugyherrschafe Über die Balkanslawen 
ruht, lieb eine Trennung der ssterreichisch-serbischen Streitfrage von der 
österreichisch-russischen nicht zu, in Serbien fühlte sich Rußland selbst ge- 
trofsen, der Panslawismus rief Rußland gebieterisch in den Kampf, in dem 
es Machtzuwachs zu finden und eine innere Neugeburt zu erleben hoffte. 
Als Osterreich am 28. Juli Serbien den Krieg erllärte, ordnete Rußland 
öffentlich die Mobilmachung in Odessa, Kiew und Moskau an, obwohl der 
österreichische Generalstab sich auf eine Teilmobilmachung gegenüber Ser. 
bien beschränkt hatte. 
Unterdessen war Kaiser Wilhelm von seiner gewohnten Nordlandsfahrt 
zurückgekehrt und hatte sich unmittelbar mit dem Jaren in Verbindung 
gesetzt, um von Herrscher zu Herrscher für den Frieden tätig zu sein. Am 
28. Juli jagte der Draht einen Brief an Kaiser Nikolaus, in dem Kaiser 
Wilhelm II. erklärte, daß er seinen ganzen Einfluß aufbieten werde, um 
Osterreich--Ungarn zu bestimmen, eine offene und befriedigende Wer- 
ständigung mit Rußland anzustreben. Doch ließ der Monarch keinen 
Zweifel über seine Auffassung der serbischen Frage und ersuchte den 
Zaren in ernsten Worten um die Intersttung seiner Bemühungen zur 
Beseitigung der Schwierigkeiten (39). Der Jar antwortete am 29. Juli
	        
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