Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

52 Aus der Vorgeschichte des Krieges 
bezeichnenderweise, er bitte den Kaiser, ihm zu helfen, da er sehr bald dem 
Orucke, der auf ihn ausgeübt werde, nicht mehr widerstehen könne und ge. 
zwungen sein werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum Kriege führen 
würden (40). 
Oie Antwort des Deutschen Kaisers erfolgte noch am gleichen Tage, 
ging kurz auf die Entwicklung des Streitfalles ein und gab der Meinung 
Ausdruck, daß es für Rußland durchaus möglich sei, dem österreichisch. 
serbischen Kriege gegenlber in der Rolle des Zuschauers zu verharren, ohne 
Europa in den schrecklichsten Krieg hineinzuziehen, den es je erlebt habe. 
Oie Schlußsäctze dieser geschichtlichen Urkunde lauten: 
„Ich glaube, daß eine direkte Verständigung zwischen Deiner Regierung 
und Wien möglich und wünschenswert ist, eine Berständigung, die — wie 
ich Dir schon telegraphierte — meine Regierung mit allen Kräften zu 
fördern bemüht ist. Natürlich würden militärische Maßnahmen Rußlands, 
welche Osterreich--Ungarn als Drohung auffassen könnte, ein Unglück be- 
schleunigen, das wir beide zu vermeiden wünschen, und würden auch meine 
Stellung als Vermittler, die ich — auf Deinen Appell an meine Freundschaft 
und Hilfe — bereitwillig angenommen habe — untergraben.“ 
Da die Mobilmachung Rußlands dessenungeachtet fortschritt, sandte 
der Kaiser am 30. Juli eine zweite Mahnung an den Jaren, indem er ihn 
auf die Gefahren und Folgerungen der russischen Mobilisation hinwies und 
betonte, daß Osterreich-Ungarn nur gegen Serbien mobil gemacht habe, 
und zwar nur einen Teil seiner Armee; er fügte bei, daß seine eigene, auf 
ausdrücklichen Wunsch des Jaren angenommene Wermittlerrolle durch die 
russische Mobilmachung gegen Osterreich--Ungarn gefährdet, wenn nicht 
ummöglich gemacht werde. 
Das Schreiben schloß: 
„Oie ganze Schwere der Entscheidung ruht jetzt auf Deinen Schultern, 
sie Haben die Verantwortung für Krieg oder Frieden zu tragen.“ 
Der zuerst angeführte Brief Kaiser Wilhelms ist vom Zaren am 
30. Zuli 1 Uhr 20 Minuten mittags mit seinem Dank für die angestrebte 
Vermiktlung mit der Erklärung beantwortet worden, daß Rußland Kaiser 
Wilhelms „starken Druck auf Osterreich brauche, damit es zu einer Ver- 
ständigung Osterreich-Ungarns mit Rußland komme“, enthält aber die 
Bemerkung, daß „die jetzt in Kraft tretenden militärischen Maßnahmen“ 
schon vor fünf Tagen beschlossen worden seien, und zwar aus Gründen der 
Verteidigung gegen die Vorbereitungen Osterreichs. 
Am 31. Juli richtete der Zar an den Kaiser ein Telegramm, das von 
Petersburg abging, als die Teilmobilmachung Rußlands schon zur vollen 
Mobilmachung der russischen Streickräfte zu Wasser und zu Lande geworden 
war. In diesem Telegramm erklärte der Zar, daß es technisch unmöglich 
sei, die Vorbereitungen einzustellen, daß die Truppen aber keine heraus-
	        
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