Oeutschlands Verbandlungen mit den Westmächten 59
Grey erklärte in seinem merkwürdigen, verschachtelten, hier wortgetreu
angeführten Schreiben an Goschen ausdrücklich, er könne nur sagen, daß
England seine Hände frei behalten müusse.
Am Tage, da England diese Erklärung abgab, erfolgte in Paris die
Anfrage der deutschen Regierung, ob Frankreich in einem deutsch-russischen
Kriege neutral bleiben werde (53). Noch am Abend des 30. Juli hätte die
französische Regierung diese Frage beklommenen Herzens angehört, obwohl
ihr die Auffassung Greys zuverlässig bekanmt war, aber seither war eine
weitere Zusicherung und Bindung Englands erfolgt, die Wiviani gestattete,
die deutsche Frage durch die Erklärung zu beantworten, Frankreich werde
nach seinen Interessen handeln. Angsllich geworden, hatte Viviani nämlich
am Abend des 31. Juli noch den englischen Botschafter in Paris veranlaße,
nach London zu drahten, um eine bestimmte Mitteilung Üüber die Haltung
des britischen Kabinetts zu erhalten (54). Darauphin teilte Grey Paul
Cambon mit, er werde das Kabinett mit der ungenügenden Antwort Deutsch-
lands in Sachen der Neutralität Belgiens befassen und die Ermächtigung
verlangen, am Montag (3. August) im Parlament zu sagen, daß die britische
Regierung eine Verlezung der belgischen Neutralität niche dulden werde.
Der Augenblick, die belgische Frage auszuspielen, war gekommen.
Gleichzeitig aber eröffnete Grey dem französischen Botschafter, daß
die englischen Geschwader mobilifiert seien, und erklärte sich ferner bereit,
seinen Amtsgenossen eine Erklärung vorzuschlagen, dahin gehend, daß die
bricische Flotte die Durchfahrt der deutschen Flotte durch den Kanal und
jede Demonstration an der französischen Küste verhindern werde (55).
Mehr konnte Giviani nichte verlangen; ruhigen Herzens hat er darauf.
bin dem Freiherrn von Schön die gemessene, trotz ihrer Verkleidung aber
unzweideutige Anewort gegeben, daß Frankreich nach seinen Interessen
handeln werde, und wenige Stunden später die Mobilmachung der fran.
zösischen Streitkräfte zu Wasser und zu Lande befohlen (56). Frankreich
bat die Folgerungen aus dem französisch-russischen Bündnis im Vertrauen
auf Englands Waffenhilfe gezogen und die ihm von Deutschland gebotene
Möglichkeit, dem Krieg fernzubleiben, vernachlässigt. Da seine ganze äußere
Dolicik auf den lebendig erhaltenen Gegensaß zu Deutschland eingestellt war,
bandelte es folgerichtig, ging dabei aber von einer geschichtlichen Auffassung
aus, die die beiden schönsten Kulturkreise und geistig reichsten Nationen
aufs neue zu Todfeinden machte. Englands Jusage schien dieser Politik
Erfolg und Triumph zu verbürgen.
Der Bruch zwischen Deutschland und Frankreich ist an demselben Tage
erfolgt, an dem Sir Edward Grey dem Fürsten Lichnows#y erklärte,
England müsse seine Hände freibehalten, auch wenn Deutschland
die Aufrechterhaltung der belgischen Neutralität und die Integrität Frank.
reichs und seiner Kolonien verspreche.