Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

60 Aus der Vorgeschichte des Krieges 
Oer Sinn dieser Worte ist lar. England wollte unter keinen wie immer 
gearteten Umständen neutral bleiben, sondern frei nach seinen Interessen 
handeln. Diese waren aber so eng mit den Interessen Frankreichs und Ruß. 
lands verknüpft und seine Policik war so grundsäglich gegen die Interessen 
Deutschlands gerichtet, daß es den Augenblick, da die Ententepolilik zum 
Bündnisfall wurde, nach der Meinung Sir Edward Greys nicht hatte ver- 
säumen dürfen. England hatte seine Hände „freibehalten“, um — sie gegen 
Oeutschland zu gebrauchen. Ein Telegrammwechsel zwischen dem Deutschen 
Kaiser und dem König von England und zwischen diesem und dem Prinzen 
Heinrich von Preußen konnte an den Tatsachen um so weniger ändern, als 
die britische Majestät keinen Einfluß auf die Entwicklung besaß. 
Die ablehnende Antwort, die Grey dem deutschen Botschafter am 
1. August erteilte, hatte die leczten Möglichkeiten zerstört, den europêischen 
Krieg gegen Westen zu beschränken, und riß zugleich Belgiens Grenzen auf, 
denm wenn Deutschland von vornherein mit Englands Gegnerschaft, also 
mit einem gemeinsamen Feldzug Frankreichs und Englands rechnen mußte, 
war seine empfindliche Westgrenze einem Anfall überlegener Streitkräfte 
preisgegeben und ihm das Meer verschlossen. In dieser Lage schaltete die 
deutsche Staatsleitung die politischen Hemmungen und völkerrechtlichen 
Erwägungen aus und gab milicärischen Notwendigkeiten Raum, die im 
Drange der Not als gebieterische angesehen wurden. Da der deutsche Feld- 
zugsplan für den Fall einer so weitgreifenden Ausdehnung des Krieges 
und einer so gefährlichen Verkektung der Umstände — eines Waffenbünd. 
nisses Rußlands, Frankreichs und Englands — nur in einem raschen, bis 
zur vollen Raumtiefe durchgeführten Angriff auf die französische Nordflanke 
das Heil erblickte, so mußte die deutsche Heeresmacht die belgische und 
luxemburgische Grenze überschreiten und den Stoß durch diese neutralen 
Länder führen, um die verwundbare Stelle der Gegner rasch und sicher zu 
treffen, ehe russische Abermacht die Ostgrenzen eindrückte. Unter dem Zwang 
dieser Umstände forderte Deutschland von GBelgien freien Durchzug. 
Belgiens tragische Stunde war gekommen. Das Land, das vor fünf. 
undachtzig Jahren von England, Frankreich, Rußland und Preußen ge- 
schaffen worden war, sah sich von einem der Unterzeichner seiner ewigen 
Neutralität mie einer Verletzung seiner Grenzen bedroht. 
Vom Bruch und vom Mißbrauch der belgischen Neutralität 
Bevor die deutsche Regierung in Brüssel das Ansuchen um freien Durch- 
zug stellte, war Frankreich der Waffenhilfe Englands schon teilhaftig ge- 
worden. Am 1. Augusté verlangte Grey entsprechend seiner Mittceilung an 
Cambon vom englischen Ministerrat zugunsten Frankreichs die Erklärung,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.