78 Die militärische Lage Europas
päische Rußland eher zu gering als zu hoch angeschlagen. Der Ausbau der
sibirischen Bahn und der kaukasischen Verbindungen erlaubte indes der
russischen Heeresleitung, auch über die asiatischen Korps zu verfügen. Schon
in den lehten Jahren vor dem Kriege waren sibirische und kaukasische Regi-
menter zu Manövern im Westen aufgeboten und dann in européischen Stand-
orten belassen worden. Wenige Wochen nach Kriegsbeginn erschienen die
ersten Staffeln asiatischer Korps auf den Schlachtfeldern der Ukraine und in
Masuren. Ussuriregimenter und Amurkosaken aus dem zußersten Osten
Asiens ricten schon im Frühling des Jahres 1915 in Kurland gegen bayerische
und hessische Schwadronen an. Oie Stärke des russischen Feldheeres im
europäischen Kriege kann einschließlich der Reserven erster Linie auf mehr
als 5 Millionen geschätzt werden, von denen 2 Millionen schon im August
verfügbar waren. Später traten noch Landsturmgliederungen und Rekruten
binzu, die die Gesaméstärke weiter erhöhten, aber nicht mehr die Leistungs.
fähigkeit der Feldtruppen besaßen. Es ist anzunehmen, daß Rußland mehr
als 12 Millionen Menschen unter die Waffen gerufen hat.
Die Kriegsgliederung dieser gewaltigen Masse entzieht sich noch unserer
Kennenis. Wortrefflich ausgerüfstet, reich mie Artillerie versehen, von jenem
unterwürfigen Gehorsam erfüllt, den die russische Armee zu allen Zeiten be-
währt hat, rückie sie in den Kampf. Allerdings kein wissendes, von seelischem
Schwung beflügeltes Heer, wohl aber ein dauerhaftes Kriegswerkzeug in der
Hand rücksichtsloser Führer, das Erfolg und Sieg inmerlich nicht stark miterlebt,
aber gegen Verluste und Niederlagen in hohem Maße unempfindlich ist. Den
Oberbefehl erhielt zunächst Rikolai Nikolajewitsch, des Kaisers Obeim; als
Chef des Generalstabs wirkte General Januschkewitsch. Im November 1914
standen 10 Armeen im Felde, die über 50 Armeekorps und zahlreiche Reserve.
divisionen umfaßten. Obwohl jede einzelne Armee von einem Armeeober-
kommando geleitet wurde, übte der Großfürst doch eine durchgreifende Be-
feblsgewalt aus, die den Stempel seiner starken, gewalttätigen Persönlichkeit
trug. Er war schon vor dem Kriege zum Führer der russischen Streikkräfte
bestimmt gewesen und hacte die Fäden knüpfen helfen, welche die russische
Heeresleitung mit der französischen so eng verbanden, daß ein gemeinsamer
Feldzugsplan aufgestellt werden konnte, ehe noch der Mord von Serajewo
die Welt erschütterte. Dieser Feldzugsplan rief die Russen nach Schlesien
und Mähren und in die ungarische Tiefebene. Standen sie an der Theiß, so
sollten ihnen die Serben, aus ihrer Flankenstellung vorbrechend, die Hand
reichen.
Die Rumänen
Zwischen der Ostrampe der Karpathen und dem serbischen Bergland
besaß Osterreich-Ungarn eine gesicherte Ruhestellung, solange Rumänien
nicht auf die Seite der Entente trat. Die siebenbürgischen Täler boten den