scheinlich nicht mehr weiß, wie viele Fensterscheiben man noch
einschlagen soll.
Offenbar wird jeder verhaftet, den irgendein „Gut-
gefinnter“ in keuchender Eilfertigkeit angibt. Es ist gar kein
System in der Sache. Wenn man schon einmal mit Gewalt
eingreifen will, dann muß man auch die Proskriptionsliste
fertig bei sich haben. So haben es die Leute in Ungarn ge-
macht. Mann für Mann sind dort sämtliche Führer der ver-
flossenen Rätediktatur verhaftet, abgeurteilt, gerichtet worden,
zum Teil durch hochbezahlte Agenten im benachbarten Aus-
lande, in Deutsch-OÖsterreich und der Tschechoslowakei, ge-
knebelt und im Auto nach Ofenpest entführt. Mit Stumpf
und Stiel wurde das alte Regime ausgerottet. Heute hat in
Ungarn sogar die sozialdemokratische Partei dem neuen
Ministerpräsidenten erklärt, sie wolle gar keine Kandidaturen
zum Reichstag aufstellen, geschweige denn sich an der Regie-
rung beteiligen; sie sei dankbar und zufrieden, wenn man sie
milde behandle, und sie verzichte auf jeden Klassenbampf.
Aber um etwas Ahnliches auch nur zu versuchen, wenn es in
Deutschland überhaupt ginge, fehlt es Kapp an jedem vor-
bereiteten Adressenmaterial.
Vor der Reichskanzlei ein ewiges Kommen und Gehen.
Oben flattert quer ein Phantasiebanner mit Reichsadler.
Ein bekannter Parlamentarier kommt heraus und be-
grüßt mich.
Na?
Er ächzt, schüttelt den Kopf und wirft einen Blick gen
Himmel. Er erzählt, die Ministerliste, die im Publikum
kursiere, sei falsch. Ach Gott, Ministerliste! Es geht bald
um Kopf und Kragen, nicht um Portefeuilles.
Der bekannte Abg. Dr. theol. Traub, dem das preußische
Kultusministerium angeboten war und der noch in Seligkeit
und Vertrauensseligkeit oben schwebt, hat den Antrag nicht
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