Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

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Achtes Buch. 
Das Heerwesen. 
§ 142. Die geschichtliche Entwickelung 1). I. Die preußisch-deutsche Heeresverfassung 
ist in ihren Grundlagen zurückzuführen auf den großen Kurfürsten, der auf diesem Gebiete 
mit den Einrichtungen des Lehensstaates brach und ein stehendes Heer schuf und zwar in einer 
Weise, daß in Folge der Durchführung gemeinsamer Heereseinrichtungen die einzelnen Terri- 
torien vollständig verschmolzen wurden und auf dem Gebiete der Heeresverwaltung der Einheits- 
staat am Frühesten zum Durchbruche gelangte. Zunächst wurde das stehende Heer noch durch 
Werbung, die grundsätzlich im Inlande und nur ausnahmsweise im Auslande erfolgte, ergänzt. 
Erst durch das Ed. v. 24/11. 1693 wurde zur Rekrutirung in der Weise übergegangen, daß 
jeder Provinz die Stellung einer bestimmten Anzahl von Leuten zur Ergänzung des stehenden 
Heeres auferlegt wurde. Nur wenn die Provinzen die ausgeschriebene Mannschaft nicht auf- 
bringen konnten, war noch die Werbung zugelassen. 
Die Einrichtungen des Großen Kurfürsten bildete König Friedrich Wilhelm weiter durch 
die Kab. OO. v. 1. u. 18/5. 1733 und das sogen. Kantonsreglement v. 15/9. 1733. Der 
Inhalt dieser Verordnungen, durch welche das sogen. Kantonssystem eingeführt wurde, bestand 
im Wesentlichen darin, daß jedem Regimente sein eigener Distrikt oder Kanton zur Ergänzung 
angewiesen und grundsätzlich die allgemeine Wehrpflicht aller Unterthanen des Staates aus- 
gesprochen wurde. Nur ausnahmsweise fand noch die Werbung im Auslande statt. Die Kantons 
umfaßten das ganze Land ohne Unterschied, ob städtisch, patrimonial oder landesherrlich; alle 
Unterthanen unterlagen grundsätzlich der gleichen Wehrpflicht. Befreit von der Wehrpflicht 
waren nur die Edelleute, weil durch die Lehensallodifikationsvereinbarungen von 1717 gegen 
eine vom Lehensträger zu zahlende Geldabgabe das Obereigenthum des Lehensherrn und die 
diesem zu leistenden Dienste, namentlich der Kriegsdienst aufgehoben, ferner die den Edel- 
leuten rechtlich gleichgestellten höheren Beamten bürgerlichen Standes, die sogen. Eximirten 
eben wegen dieser Gleichstellung und die Kapitalisten, welche wenigstens 10000 Rthlr. Ver- 
mögen besaßen (um fremde Kapitalisten ins Land zu ziehen). 
Die Verpflichtung der ausgehobenen Mannschaft zum Kriegsdienste war eine zeitlich un- 
beschränkte, sie wurde aber sehr wesentlich erleichtert durch ein ausgedehntes Beurlaubungs- 
system, so daß sich in Friedenszeiten der größte Theil der Mannschaft fast das ganze Jahr auf 
Urlaub befand. Während so unter Friedrich Wilhelm I. grundsätzlich die allgemeine Wehrpflicht 
eingeführt war, wurde unter Friedrich II. dieser Grundsatz durch massenhafte Ausnahmen die 
aus den verschiedensten Gründen, theilweise auch im Interesse die Beförderung der Industrie und 
der Gewerbe zugelassen wurden, in einer Weise durchlöchert, daß schließlich Preußen nur ein 
vom einheimischen Adel befehligtes Söldnerheer mit allen seinen Schattenseiten besaß. 
  
1) Bornhak, Geschichte des preuß. Verw.-Rechts, II, S. 64 ff., S. 192 ff.; III, S. 108 ff. 
— Kirchenheim, Art. Heer und Wehrpflicht in Stengel's Wörterbuch des Verw.-Rechts, l, 
S. 639 ff.; II, S. 917 ff. — Gneist, die Militärvorlage von 1892 und der preuß. Verfassungskonflikt 
von 1862 bis 1866 (1893).
	        
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