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geführte Arbeit in Plattstich, mag sie nun flach oder hoch ausgeführt
werden, immer zur Stickerei (französische Stickerei). Die Arbeit mit
der Tamburirnadel wurde immer zur Stickerei gezählt.
Vor einem halben Jahrhundert war Näherei und Stickerei noch
über das ganze Gebirge verbreitet. „In der Dresdener und Frei-
berger Gegend findet die französische Stickerei statt; in Marienberg,
Wolkenstein, Annaberg und Umgegend etwas Bobinnetnäherei, vor-
nehmlich aber das Ausnähen der baumwollenen Gardinen-Fransen,
welches eine große Anzahl weiblicher Hände beschäftigt. In den Be-
zirken von Scheibenberg, Crottendorf, Schwarzenberg, Stollberg,
Hartenstein bis Hohenstein näht man in seidenen Petinnet und Bo-
binnet. In Schönheide, Eibenstock und in einem bedeutenden Umkreis
von Schneeberg herrscht das Sticken mit der Tamburirnadel vor,
obgleich auch sehr viel mit der Nähnadel gearbeitet wird. Fast jedes
Städtchen und jeder Ort des Gebirges hat ihre gewohnte Weise dieser
Nadelarbeit, deren Vielseitigkeit eine genaue Classification unmöglich
macht.“ (Wieck, S. 337.)
Seit dieser Zeit ist dieselbe im östlichen Gebirge fast vollständig
zum Erliegen gekommen. Um 1860 schon war die Ostgrenze des
von der Näherei und Stickerei eingenommenen Gebietes bis Annaberg
zurück gewichen; dasselbe erstreckte sich über die Umgebungen von
Eibenstock, Lößnitz, Hartenstein, Aue, Schneeberg, Neustädtel auf der
Nordseite, Platten, Neudeck, Hirschenstand, Frühbuß, Graßlitz auf der
Südseite des Gebirges bis Schöneck und von da weit hinaus über
den größten Theil des Vogtlandes bis in das Fichtelgebirge hinein;
bis Wunsiedel, Stadt Steinach und Schwarzenbach am Wald. Man
veranschlagte zu dieser Zeit die Zahl der im Plattstich und im Tam-
burirstich beschäftigten Ausnäherinnen auf 20 bis 25000, welche in
Weiß und Bunt arbeiteten; um 1872 in Sachsen dagegen nur auf
10 000, von denen 4500 Plattsticer, 4500 Tambursticker und 1000
Buntsticker gezählt wurden.
Die Hauptorte der Weißstickerei waren um diese Zeit
Plauen, Schönheide, Eibenstock, Schneeberg. Bis von etwa 30 Jahren
war alle Stickerei nur Handstickerei, welche die verschiedenen Arten
von Frauenputz — Kragen, Manschetten, Unterärmel, Fanchons,
Schleier, Tücher, Mantillen u. s. w. — anfertigte. Die Blüthezeit
derselben war die erste Hälfte der 50er Jahre. Mit dem 1857 durch
die Mode herbeigeführten Umschlage erschienen gleichzeitig die ersten
Stickmaschinen aus der Schweiz. Noch 1840 hatte Wieck gesagt
(S. 338), „die sinnreiche Stickmaschine kann trotz ihrer genialen Con-
struction gegen die unermüdlichen Finger unserer Mädchen nicht auf-
kommen“; aber nur kurze Zeit später war die Maschine dergestalt