1856 Die Schweiz beharrt auf ihrer Weigerung. 255
seits schien dem Bundesrath die Gefahr eines preußischen
Angriffes mit Hecresmacht in der That sehr gering zu sein.
Die liberalen oder demokratischen Stimmungen der Volks-
massen in Frankreich und Deutschland waren zwar seit 1851
unterdrückt, bestanden aber in desto größerer Spannkraft fort,
und traten bei der Neuenburger Frage ebenso wie während des
Krimkriegs hervor. Die überwiegende Neigung stand auf der
Seite der Schweiz; man fand den Gedanken ebenso lächerlich
wie gehässig, daß um 13 Quadratmeilen entlegenes Landes,
welches den preußischen Staat gar nichts anging, das preußische
Volk in einen ernsten Krieg hineingedrängt werden sollte. Nun
wußte man in Bern sehr wohl, wie sehr Napoleon und die süd-
deutschen Höfe auf die öffentliche Meinung ihrer Völker Rück-
sicht nahmen; man hielt sich also überzeugt, daß selbst bei dem
bösesten Willen diese Regierungen es nicht wagen würden,
der preußischen Armee den Durchmarsch wirklich zu gestatten.
Ein Zweites kam hinzu.
Einer energischen Forderung sämmtlicher Großmächte
hätte sich die Schweiz ohne Zweifel schon jetzt gefügt. Aber,
wie wir wissen, standen die Großmächte seit dem Pariser
Congresse in zwei Gruppen gesondert, und dies Verhältniß
machte sich auch in der Neuenburger Frage geltend. Wie
Frankreich dem preußischen Cabinet, so secundirte in Bern
der russische Gesandte dem französischen mit unausgesetztem
Eifer. Aber äußerst lau verhielt sich der Vertreter Oster-
reichs, beantragte zwar die Freilassung der Gefangenen, ver-
hielt sich aber nach der Abweisung völlig ruhig. Vollends
der englische Gesandte Gordon erwog täglich mit Stämpfli,
wie man den König von Preußen nöthigen könne, zuerst zu
verzichten, und damit die Freiheit der Rebellen zu erkaufen.