Neue Parteibildung im Abgeordneten-Hause. 357
dem Hause den Wunsch aus, von seiner Wiederwahl abzu-
sehen, damit sein Name nicht ein Hinderniß der Versöhnung
werde. Es erhielt darauf der Candidat der bisherigen Oppo-
sitionsparteien, von Forckenbeck, 170 Stimmen gegen 136
der Conservativen und 22 der Altliberalen. Es gab also
auch jetzt keine ministerielle Partei mit sicherer Majorität,
immer aber bekundete Forckenbeck's Wahl das Obsiegen einer
gemäßigten und versöhnlichen Stimmung auch in den Kreisen
des modernen, fortgeschrittenen Liberalismus. Denn gleich im
Beginne des Verfassungsstreits hatte sich Forckenbeck durch
das Einbringen von Verbesserungs= und Vermittlungsanträgen
in sehr bestimmten Gegensatz zu der rein negativen Haltung
von Waldeck und Genossen gesetzt. Seine Wahl war das
erste Symptom einer neuen Parteibildung zugleich im liberalen
und nationalen Sinne.
So heftig und grimmig der Zorn während der Con-
flictsjahre gewesen, jetzt ließ es sich nicht mehr verkennen, daß
die Regierung und die Liberalen dasselbe große Ziel ver-
folgten, und daß zur Vollendung des deutschen Reiches die
Macht der Regierung ebenso unentbehrlich war, wie die
innere Bewegung der Geister. Wem es Errnst mit der
deutschen Einheit war, der mußte, gerne oder ungerne, sich
als Verbündeten der Regierung in der das ganze Dasein
beherrschenden Frage bekennen, und folglich, wem es Ernst
um die praktische Verwirklichung des liberalen Gedankens
war, der mußte sich jetzt zu thätigem Zusammenwirken mit
der Regierung entschließen, um die Neugestaltung des deut-
schen Reiches nicht allein den politischen Gegnern zü über-
lassen. Vier Jahre lang hatte der Verfassungsstreit die große
Masse der Liberalen mit der radicalen Demokratie verschmolzen