462 Innere Entwicklung.
damals das mit schallendem Jubel begrüßte Ideal, der
Particularismus aber wurzelte mit tausend Fasern in dem
gewohnten realen Dasein. Die Nationalversammlung unter-
schätzte seine Kraft und das Maaß seines Rechts, und fand
die Formel nicht, ihn mit dem großen nationalen Fortschritt
zu versöhnen.
Im Gegensatz zu dem Allem war die preußische Re-
gierung seit 1865 langsam, Schritt auf Schritt, durch die
Verhältnisse gedrängt, dem Gedanken, nicht des Umsturzes,
sondern der Reform des alten Bundes näher getreten. König
Wilhelm fand es im Widerspruch mit der Natur der Dinge,
daß im Bundestage Preußen rechtlich nicht schwerer wog als
Darmstadt, und von dem österreichischen Präsidium überschattet
wurde. Er beklagte die thatsächlichen Verhältnisse, welche
dem einzigen Organ der nationalen Gesammtheit, dem Bundes-
tage, jede Möglichkeit gemeinnütziger Wirksamkeit entzogen. Er
war endlich entrüstet über die elende Bundeskriegsverfassung,
welche den Schutz gegen Außen zu einer selbstmörderischen
Täuschung machte. Er entschloß sich, für diese Ubelstände
Abhülfe zu schaffen, sonst aber an die Unabhängigkeit der
Einzelstaaten und an die Rechte seiner Mitfürsten im Bunde
nicht zu rühren. Nachdem er durch einen Siegeslauf ohne
Gleichen die Quelle aller Übelstände, den Antagonismus
zweicer Großmächte im Bunde, aus dem Wege geräumt, be-
harrte er unwandelbar innerhalb der selbstgezogenen Schranken,
und der Bundesvertrag vom 16. August wiederholte lediglich
den preußischen Antrag vom 10. Juni. So gelang seiner
Einsicht und seiner Mäßigung, was die Nationalversammlung
nicht vermocht hatte: berathen von seinem großen Minister,
sond er den Boden für ein stabiles Gleichgewicht des Ideals