1866 Unsichere Lage Europas. 5
manchen Schwankungen die öffentliche Meinung den preußi-
schen Siegen und der deutschen Erhebung laut und rückhaltlos
zugejubelt, was in Berlin natürlich angenehm empfunden
wurde: freilich aber stand zugleich die Thatsache fest, daß
bei neuen Kämpfen auf dem Continent England keiner der
streitenden Parteien helfen, allen seine Neutralität zusichern
würde. Die politischen Traditionen Pitt's und Palmerston's
waren erloschen, anstatt der aristokratischen herrschten jetzt
bürgerliche Tendenzen. England war stark zur See und
im Welthandel, vervielfältigte hier seinen Reichthum und
wünschte darin durch keine Theilnahme an politischen Händeln
gestört zu werden, es wäre denn, wie es Lord Stanley
sagte, daß jemand seine Hand nach Belgien oder Constanti-
nopel ausstreckte. Endlich Italien, Preußens Kampfgenosse
im letzten Kriege. Ohne Zweifel man wußte hier sehr bestimmt,
wer der italienischen Einheit Venetien mißgönnt, wer es ihm
verschafft hatte. Aber im Völkerrechte pflegt eine Dankes-
pflicht, als eine Beeinträchtigung des nationalen Stolzes,
eher zu einem stillen Grolle als zu echter Freundschaft zu
führen, und hier trat der Umstand hinzu, daß mit Venetien
der Kreis der italienischen Wünsche keineswegs geschlossen,
und das Land für die Erfüllung seines höchsten Begehrens,
der Hauptstadt Rom, wesentlich an das Wohlwollen Frank-
reichs gewiesen war. Es mußte demnach als wahrscheinlich
gelten, daß trotz der Waffengemeinschaft von 1866 Italien
in ein französisches Bündniß gegen Deutschland ein-
treten würde, wenn es dafür die Erlaubniß zur Aneignung
Roms erlangen könnte.
So erblicken wir aller Orten getheilte Gefühle, hin und
her schwankende Verstimmtheit, wenig zuverlässiges Wohlwollen.