Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Sechster Band. (6)

8 Vorbereitung des Reichstags. 1866 
Das stramme, kurz angebundene Wesen der preußischen Be- 
amten und Officiere contrastirte zu scharf mit der im Süden 
gewohnten bedächtigen und bequemen Art; dem von Natur 
und nicht selten aus Berechnung schweigsamen Bajuvaren 
mißfiel die fortdauernde Gesprächigkeit des Berliners, der, 
gewandt in der Rede und lebhaft im Ausdruck, überall rasch 
fertig und nicht immer gründlich im Urtheil war. Der Berliner 
Brauch, alle Schöpfungen der Stadt und des Staats jeden 
Tag kritisch oder witzig zu vernichten, war dem Süden fremd: 
um so mehr erregte die naive Selbstgefälligkeit, womit man- 
cher norddeutsche Tourist draußen die überlegenheit jeder 
preußischen Einrichtung über die süddeutsche weniger behaup- 
tete als voraussetzte, den Arger des Münchener oder Stutt- 
garter Gastfreundes. Kein Theil konnte es dem andern 
recht machen, und Spott und Tadel flogen hinüber und 
herüber. Kladderadatsch beschäftigte sich gerne mit dickleibigen 
bayerischen Stabsofficieren, in den Fliegenden Blättern präsen- 
tirten sich dagegen starkgeschnürte preußische Gardelieute- 
nants. Der Preuße sah in dem colossalen Bierverbrauch 
Bayerns ein Symptom innerer Rohheit; der Münchener 
höhnte über den Abendtrunk der Tasse Thee im Norden, 
dieses weibischen Geschlamps, beide ohne zu ahnen, daß 
Beides gleich sehr klimatischen Grund hatte und dennoch 
Beides schon im nächsten Menschenalter das ganze geeinte 
Deutschland überfluthen würde. 
Das Alles scheinen nichtige Dinge. Aber sie betrafen 
die Gewohnheit des täglichen Daseins, die Abwendung von 
allem Neuen und Fremden, und damit die Macht des par- 
ticularen Beharrens auch auf dem politischen Gebiet.
	        
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