Full text: Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. Sechster Band. (6)

220 Die neuen Zollvereinsverträge. 1867 
Den politischen Werth des Zollvereins in dem ersten 
Menschenalter seines Bestehens hat man sehr oft erheblich 
überschätzt. Die Eröffnung eines großen innern Marktes 
hob rasch den Wohlstand aller betheiligten Territorien, wurde 
ohne Zweifel von der Mehrzahl der Kaufleute und Fabrikanten 
als hocherfreulicher Fortschritt empfunden, und gewaltige 
Waarenmassen gingen unaufhörlich zwischen Norden und 
Süden hin und her. Der persönliche Verkehr aber zwischen 
den beiden Ländergruppen blieb auch nach der Entwicklung 
der Eisenbahnen gering, und namentlich in Bayern und 
Württemberg ließen die Einwohner sich zählen, welche durch 
eigne Anschauung sich Kenntniß von den Zuständen Nord- 
deutschlands verschafft hatten. Der Zollverein war also 
weit entfernt davon, die politischen Gesinnungen in den 
einzelnen Staaten zu einem nationalen Gesammtgefühl zu 
verschmelzen; im Gegentheil, er verstärkte eher die particulare 
Widerhaarigkeit. Denn er war, wie es eben die Zeit mit 
sich brachte, aus demselben Holze wie der Bundestag 
geschnitten. Um sich nach Außen zu sichern, schufen die 
deutschen Staaten den Bundestag; um den innern Wohlstand 
zu heben, schlossen sie den Zollverein; hier und dort aber 
wahrten sie auf das Eifersüchtigste ihre souveräne Freiheit 
und Machtvollkommenheit. Man hatte den Zollverein 
gegründet, weil in Handelssachen ein wichtiger Bundes- 
beschluß vermöge der gesetzlichen Vorschrift der Einstimmigkeit 
niemals zu Stande kam: und siehe da, als der Zollverein 
gestiftet war, zeigte sich, daß die Staaten das liberum veto 
auch des Geringsten unter ihnen in den Verein mit hinüber 
genommen hatten. Damit war, wie im Bundestage, so auch 
im Verein, jede Anderung und Fortentwicklung verhindert.
	        
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